Die Phileasson-Saga: Vom Rabenpass bis nach Norburg

Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko

aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson

 

Ottaskin der Hetleute, Thorwal

6. Firun 1009 nach Bosparans Fall

 

Während draußen auf dem Kliff Thorwals langsam die ersten Schneeflocken vom wiederaufkommendem eisigen Nordwind aufgewirbelt werden, ertönt aus der Großen Halla der Hetleute das Klirren von Trinkhörnern. Am Kopfende sitzt der ‚König der Meere‘ Asleif Phileasson, der gerade seinen letzten Bissen Fischmus mit einem ordentlichen Schluck Met herunterspült. Mit einem vernehmlichen Krachen stellt er das Methorn wieder neben sich auf den schweren Eichentisch, wischt sich die letzten Reste Bratenfett aus dem Bart und setzt an, seine Geschichte fortzusetzen. Fast augenblicklich herrscht wieder gespannte Stille in der Halla, alle Augen richten sich auf den hünenhaften Kapitän der Seeadler. Dieser lehnt sich zurück, legt die Füße auf den Tisch und beginnt zu dem jungen Skalden Mandred gewandt zu sprechen:

„Ja, mit vollem Bauch geht alles besser, das Wohl! Nun also wieder zu meiner Saga, Mandred. Wo war ich doch gleich? Ach ja, der Rabenpass. Nach einem beschwerlichen Marsch über den Rabenpass hatten wir die Bergmassive der Gelben Sichel endlich hinter uns gelassen und erreichten Ask, ein kleines Dörfchen einige Meilen nordöstlich der bornischen Stadt Norburg gelegen. Ich glaube es war zu Beginn des Mondes Peraine. Wir überquerten hier den Fluss Born über die wohl einzige Brücke im Umkreis von mehreren Meilen. Ganze vier Tage lagerten wir in Ask, so wie es bei den Rauwölfen schon seit jeher Brauch ist. Jedes Jahr werden hier die Karene auf die Asker Weiden geführt, um sie nach dem langen, anstrengenden Marsch nach Süden wieder zu Kräften kommen zu lassen.

Meine Männer zog es allerdings auch schon bald in die Stadt Norburg, wer kann es ihnen nach der langen und beschwerlichen Reise auch verdenken. Dort erfuhren sie allerdings, dass aus Angst vor den Zorgan-Pocken keine Reisenden mit Narben oder anderen Auffälligkeiten eingelassen werden. Das hat dem Nostrier Roban und dem ehemaligen Gladiator Hakon mit ihren Pockennarben mal gar nicht gefallen, das kann ich dir sagen, Mandred! Immerhin war Norburg doch die erste größere Stadt, die wir seit gefühlt Jahren erreicht hatten, das Wohl!“ Phileasson greift noch einmal nach einer gebratenen Ziegenkeule auf dem Holzbrett vor ihm und beißt herzhaft einige Stücke durchwachsenes Fleisch ab. Fleischsaft und Fett tropft von seinem blonden Vollbart, als er ansetzt weiter zu sprechen: Leider waren unsere Nivesen nicht mit den Gebräuchen hier vertraut. Die kleine Phanta, die durch die Zorgan-Pocken hässliche Narben im Gesicht davongetragen hatte, versuchte des Nachts in die Norburger Magierakademie einzubrechen und dort ein Heilmittel für ihre verlorene Schönheit zu stehlen. Doch niemand bricht ungesehen in eine Magierakademie ein, das weiß nun mal jedes Kind, das Wohl! Nicht wahr, Aleya?“ Dabei blickt Phileasson grinsend zu einem blassen Mann mit müden Augen, in eine schwarze Robe gewandet. Dieser hält dem blonden Kapitän sein Trinkhorn entgegen, und beide prosten sich zu. Met spritzt dabei auf den schweren Eichenholztisch. Sicherlich nicht der erste Met, der in der Großen Halla der Nordmänner verschüttet wurde. Dann spricht Asleif weiter: Man mag nun meinen, die Nivesen hätten es dadurch gelernt, doch weit gefehlt, bei Swafnir! Hern'sen, der junge Krieger der in Phanta verschossen war, wollte seine Liebste heldenmutig retten. War damals gar nicht gut auf Roban zu sprechen, der Nostria hatte nämlich auch seine Finger … na, du weißt ja was ich meine, nicht wahr Mandred?“ Phileasson haut dem jungen Thorwaler dabei mit einem brüllendem Lachen kräftig auf den Rücken. Mandred nickt dem Kapitän grinsend zu. Dann fährt Foggwulf mit seiner Erzählung fort: Hmja, das mit dem Nostrier, das wollte ich eigentlich gar nicht in der Saga festhalten. Der Met macht die Rübe weich, das Wohl! Streich das mit Roban, Mandred. Nun wie dem auch sei, am Ende gab es einen verletzten Norburger Stadtgardisten und einen nivesischen Krieger, dem zur Strafe die Hand abgeschlagen werden sollte. Doch es ist bekannt, dass wir Thorwaler einen Gefährten in Not nicht zurücklassen, das Wohl! Wir beschlossen, die Besatzung des Schuldturmes abzufüllen und die beiden Nivesen aus ihren Kerkerzellen zu befreien. Klappte recht gut, ist gar nicht so verkehrt einen Angroscho dabei zu haben, der jeden unter den Tisch saufen kann! Wie ein Fass ohne Boden, sage ich dir! Natürlich mussten wir dann recht schnell aus Ask abreisen, um am nächsten Morgen leidige Fragen zu vermeiden. Irgendwie haben wir da unseren Magus vergessen, das hält er uns glaube ich heute noch manchmal vor. Ein guter Freund, fürwahr, doch seltsam allenthalben. Aber sind wir mal ehrlich, der Spur einer riesigen Karenherde zu folgen, das schafft selbst der staubigste Bücherwurm, das Wohl!

Ein paar Tage später mussten wir dann feststellen, dass auch andere unserer überdeutlichen Spur folgen konnten. Ein Hüne von einem Mann, ein Thorwaler mit blondem Gabelbart, passenderweise nannte er sich Sven Gabelbart, trat eines Abends an unser Lager heran. Er forderte uns auf, die beiden flüchtigen Nivesen herauszugeben. Ein Kopfgeldjäger wohl, wie tief kann man als stolzer Nordmann sinken? Nun, Ungrimm hatte die herausragende Idee, den Thorwaler zu einem Zweikampf herauszufordern. Soviel Ehre hatte Gabelbart immerhin noch, er ging ohne zu Zögern auf die Herausforderung des Zwergen ein. Ob er dabei bereits wusste, dass er das nicht überleben wird? Du kennst Ungrimm ja mittlerweile, Mandred. Gut ihn zum Freund und nicht zum Feind zu haben, bei Swafnir! Einige Schläge später lag der blonde Kopfgeldjäger in seinem eigenen Blut, während Ungrimm keinen Kratzer davongetragen hatte. Ich wünsche wirklich niemanden, Ungrimm als Feind zu haben, das Wohl! Früher vielleicht Beorn, aber wer weiß was aus dem alten Schlangenzüchter geworden ist. Man sollte nicht schlecht über Männer reden, die vielleicht tot sind. Nun wie auch immer, ich schweife ab. Gabelbart also war nicht alleine sondern er hatte einen Elfen dabei, doch dazu später mehr. Fürs Erste hatten wir also die Bedrohung durch die Kopfgeldjäger abgewendet. Nirka hat zur Feier des Tages dann auch ein besonders fettes Karen schlachten lassen. Der dicke Oblong hat es dann mit allerlei Wildkräutern und reichlich Salz angebraten, mir läuft heute noch das Wasser im Mund zusammen wenn ich daran denke. Ja, kochen konnte er wirklich, der dicke Nivese. Wohl sicher einer der Gründe, warum er so dick war!“ Mit diesen Worten beißt der grinsende Asleif herzhaft von der bereits erkalteten Ziegenkeule ab. Nachdem er einen ordentlichen Schluck Met zu sich genommen hat, fährt der eisblonde Hüne zu seinen Zuhörern gewandt fort: „Irgendwie hatten wir auf dieser Reise mit den Karenen aber den Ärger immer in Rufweite dabei. Nur zwei Tage nach der Begegnung mit dem Kopfgeldjäger war es, da wurden wir des Nachts von verfluchten Untoten überfallen. Untote mitten im Wald, stell dir das mal vor, Mandred! Teilweise war kein Fleisch mehr an den blanken Knochen zu sehen, einige der wandelnden Leichen aber sahen noch recht frisch aus soweit man das bei modernden Leichen so sagen kann. Mir läuft es heute noch kalt den Rücken runter, wenn ich an dieses Hranngar-Gezücht denke! Das Schlimmste war aber, dass einige dieser Leichen Mythornius nannte die gut erhaltenen Untoten Ghule oder so ähnlich verdächtig nach den Mannen Beorns ansahen.“ Phileasson hält inne. Dann erhebt er sein Methorn zu Ehren der gefallenen Männer Beorns: „Möge Swafnir ihren Seelen gnädig sein!“ Ein inbrünstiges „Bei Swafnir“ schallt ihm aus zahlreichen Kehlen entgegen. Dann spricht der eisblonde Kapitän weiter: Wie recht wir mit dieser Vermutung hatten sollten wir noch früh genug erfahren. Alles das war das Werk dieser verfluchten Elfe aus dem Himmelsturm, das kann ich dir sagen. Na, auf jeden Fall konnten meine Männer und ich die Untoten zurückschlagen. Nirka war dabei ganz fähig anzuschauen, die restlichen Nivesen eher nicht. Abergläubisches Pack, das Wohl! Auf Anraten des Magus haben wir die toten Untoten verbrannt. Oder wie auch immer man das sagen kann, eigentlich sind sie ja schon tot gewesen. Na, dir wird sicher was Passendes dazu einfallen, nicht wahr Mandred? Roban wurde bei dem Kampf zudem von einem der Ghule gebissen. Der Magus meinte die Untotenseuche sei ansteckend und so haben wir den armen Nostrier lieber unter Beobachtung gestellt. Eigor hatte es auch erwischt, ihn haben wir ebenso behandelt. Bei Beiden konnten wir aber auch Tage später keine seltsamen Veränderungen feststellen, Swafnir sei's gedankt! Roban ist noch heute gesund und munter, Eigor hat es ja leider einige Wochen später in die Tiefen von Swafnirs Reich gezogen. Ich hoffe seine Seele hat Frieden gefunden, das Wohl! Nach den Skeletten und Leichen und all dem widerlichen Kram fanden wir dann in den nächsten Tagen aber auch etwas Anderes. Etwas wirklich beeindruckendes, das kann ich dir sagen, Mandred. Hm, aber ich glaube das erzähle ich morgen, meine alten Knochen machen das lange Sitzen nicht mehr mit. Ich will dir also morgen berichten, wie es weiterging. Eine wunderschöne Lichtelfe, ein verzauberter Wald, eine traurige Geschichte, solche Dinge. All das eben, was in eine gute Saga gehört. Du wirst auf deine Kosten kommen.“

Mit diesen Worten streckt sich der Nordmann ausgiebig in seinem schweren Eichenholzstuhl. Wenig später flackern nur noch wenige Lichter in der Ottaskin der Hetleute, während zahlreiche Nordmänner im tiefen Schnee vom Kliff aus hinunter in die Stadt der Thorwaler stapfen. Phileasson hingegen steht noch lange auf dem steil aufragenden, felsigen Kliff oberhalb der eigentlichen Stadt und blickt im eisigen Nordwind hinaus auf das Meer. Kleine Schneeflocken umtanzen sein Gesicht. Neben ihm steht zitternd der in unzählige Felle eingepackte Moha. Wortlos stehen die beiden dort. Es scheint, als ob die beiden ihre Gedanken in ferne Länder schweifen lassen. Schließlich schlägt der blonde Hüne dem Waldmenschen freundschaftlich auf den Rücken, und beide gehen durch den tiefen Schnee hinab zu Herdfeuer und warmer Lagerstätte.   

 

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