Die Phileasson-Saga: Von den Drachensteinen bis nach Ilsur

Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko

aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson

 

Ottaskin der Hetleute, Thorwal

7. Firun 1009 nach Bosparans Fall

 

Der eisige Wind treibt Schneeflocken über das Kliff der Stadt Thorwal, während ein hünenhafter Thorwaler durch den kniehohen Schnee zur Ottaskin der Hetleute stapft. Es ist der Hetmann der Glutströhm-Ottajasko, der ‚König der Meere‘ Asleif Phileasson. Der Hetmann betritt die durch Fackelschein erleuchtete Große Halla des Prunkjolskrims der Hetleute. Asleif reibt sich die eiskalten Hände, während er sich zu seinem Platz am Kopfende des großen Eichenholztisches begibt. Am Tisch warten bereits zahlreiche Nordmänner gespannt auf die Fortsetzung seiner Saga, unter ihnen auch der junge Skalde Mandred Ormson. Phileasson setzt sich mit einem behaglichen Seufzer, nickt den Anwesenden kurz zu und setzt dann an zu sprechen:

„Eisig kalt da draußen, bei Swafnir! Hm, wo bin ich stehengeblieben? Achja, die Rückkehr aus den Drachensteinen. Nach unseren Erlebnissen in der Burgruine von Erm Sen brauchten wir einige Tage auf unserer Reise durch die Drachensteine, denn die gut begehbare Passstraße nach Tobrien wollten wir wegen den möglicherweise verärgerten Bewohnern des Tals nicht nehmen. Auch auf eine weitere Begegnung mit dem Kaiserdrachen Apep hatten wir keine sonderlich große Lust, das kann ich euch sagen!

Bereits am nächsten Tag hatte Shaya dann eine weitere Vision, die sie mit schmerzerfülltem Gesicht von sich gab. Damals dachten wir noch, dass die Visionen Shayas durch den Travia-Tempel zu Thorwal geschickt wurden, doch heute ist mir klar, dass die vermeintlichen Aufgaben Garhelts spätestens nach der Begegnung mit den Rauwölfen in Wahrheit von ganz anderer Stelle kamen. Manche meiner Reisegefährten glauben mittlerweile gar, dass uns die Aufgaben direkt von den Göttern geschickt wurden. Möglich wäre es, aber sicher bin ich mir nicht. Letztendlich ging es bei unserer Reise ja um nichts weniger als die Rettung Fenvariens und damit auch um das Schicksal eines ganzen Volkes! Aber ich schweife ab, das werde ich alles noch zu einem späteren Zeitpunkt erzählen, Mandred. Die Prophezeiung jedenfalls lautete in etwa so:

 

Es wird kommen der Tag, an dem sich die Kinder der Hranngar aus den Fluten der Meere erheben und ihre schrecklichen Schlangenleiber an Land wälzen, um ganze Städte zu Staub zu zermalen. Selbst die geringsten unter den Kindern der Gottechse, die sich schon in diesen Tagen unruhig in den Abgründen der Meere winden, können mit ihren Leibern die gewaltigsten Schiffe zerdrücken wie die übermütige Kinderhand die Schale eines Eies.

Verschafft euch den Reißzahn einer Seeschlange! Er gewährt euch Schutz in der Stunde, da keine Waffe von sterblicher Hand euch noch zu retten vermag. Vor der Ostküste Maraskans, das Meer durchpflügend, werdet ihr finden, was ihr sucht.

 

Natürlich wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wofür wir den Zahn einer Seeschlange brauchen würden, doch immerhin hatten wir durch die Vision Shayas ein klares Ziel vor Augen – Eine Seeschlangenjagd auf dem Perlenmeer, wahrlich eine Aufgabe wie sie schwerer nicht sein könnte, bei Swafnir! Die Stadt Ilsur war auch nach dem Erhalt dieser Vision noch ein sinnvolles Ziel, immerhin war Ilsur von uns aus gesehen die nächste zu erreichende Hafenstadt und so sind wir weiter auf einem schmalen Gebirgspfad durch die Drachensteine hinab ins Tobrische gezogen.“ Phileasson macht eine kurze Pause und streckt die Arme nach oben aus, während er herzhaft gähnt. Dann spricht er weiter:

„Die ganze Rückreise durch die Drachensteine war wirklich seltsam, fürwahr. Ich glaube selbst die Runjas haben gelacht, als sie unsere Schicksalfäden für diese Zeit gesponnen haben, das Wohl! Wulf ging es wohl ähnlich, er berichtete mir von seltsamen Träumen, seit er das Schwert Selflanatil bei sich trug. In einem der Träume hielt er Selflanatil in der Linken und einem Kelch des Schicksals in der Rechten und befand sich auf dem Weg nach Tie'Shianna, in einem anderen Traum wollte die Silberflamme einfach nur Blut schmecken. Damals haben wir die Träume nicht verstanden, doch später in der Khôm haben wir diese Andeutungen umso besser verstanden. Es ging um die Schicksalsgöttin Orima und die Rückgabe ihrer heiligen Artefakte, bei Swafnir! Das musst du aber nicht aufschreiben Mandred, das werde ich später schon noch genauer erzählen.

In der Nacht kam es dann zu einem weiteren schrecklichen Kampf, mich schüttelt es heute noch wenn ich daran nur denke! Aus der Ferne erklang unheimliches Wolfsgeheul und wir dachten schon, dass uns die Wulfen doch noch eingeholt hätten. Ha, wären es doch nur die Wulfen gewesen, es wäre eine Freude gewesen im Vergleich zu jenen Wesen, die uns in Wahrheit heimsuchten!“ Phileasson hält kurz inne und nimmt einen weiteren Schluck Met, während Ynu mit ernster Miene und einem Kopfnicken die Worte des Hetmanns bekräfigt. Kurze Zeit später fährt Asleif fort: „Aus der Dunkelheit der Nacht kamen kalbsgroße, bleiche Hetzhunde auf uns zu! Sie hatten rotglühende Augen und lange Krallen, dazu gebogene und mit Widerhaken versehene Hornfortsätze an den Gelenken und ihre Zähne waren so lang wie gekrümmte Schwerter! Widernatürliche Wesen, die direkt aus der Brutstätte Hranngars gerufen wurden, genau das waren sie! Wir zogen unsere Waffen und traten den Hranngar-Kindern entgegen, doch egal wie viele von diesen unheiligen Kreaturen wir auch zur Strecke brachten, immer mehr von diesen Wesen sprangen uns aus der Dunkelheit der Nacht an! Über ein Dutzend dieser schrecklichen Kreaturen hatten wir bereits vernichtet, doch ein jeder von uns blutete bereits aus zahlreichen Wunden. Es war also nur noch eine Frage der Zeit bis uns die grausame Horde überwältigen und zerfleischen würde. Ja, zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher, schon bald meinen Vater in den großen Hallen Swafnirs wiederzusehen, das Wohl! Doch dann geschah das Wunder: Wie aus dem Nichts erschien in der Bergflanke hinter uns der Zugang zu einer Höhle und wir eilten mit letzter Kraft dort hinein. Im Inneren warteten Bier, Brot und ein warmes Herdfeuer auf uns, während draußen die weißen Hetzhunde vor Wut aufheulten! Doch der Zugang zur Höhle war geschützt und keine dieser unheiligen Kreaturen konnte hinein! Indes brach Shaya in der Höhle erschöpft zusammen, denn sie war es, die durch ihr Flehen und ihre Gebete den Segen Travias auf uns herabbeschworen hatte! Wir waren Zeuge eines wahrhaftigen Wunders, mit welchem uns die Bewahrerin des Heims vor den Horden Hranngars erettet hatte, bei Travia!“ Mit diesen Worten lehnt sich Asleif Phileasson in seinen Stuhl zurück und lässt seine letzten Sätze auf die anwesenden Zuhörer einwirken. Es ist still in der Halla, außer dem eisigen Wind draußen und dem klagenden Heulen eines streunenden Hundes ist lediglich noch das Kratzen von Mandreds Schreibfeder zu hören. Schließlich spricht der Hetmann weiter:

„Ich weiß nicht, wie lange wir in der göttlichen Höhle verharrten. Sicherlich Stunden, vielleicht auch Tage, doch letztendlich wagten wir uns wieder nach draußen. Es war heller Tag und von den Hetzhunden fehlte jede Spur. Schnell verließen wir daraufhin den Kampfplatz und folgten dem Gebirgspfad weiter gen Süden.    

Wenig später fanden wir einen seltsamen Steinkreis, in welchem der bewusstlose Hakon lag! Damals wussten wir natürlich nichts von dem Bann, unter welchem der Al'Anfaner stand und so fesselten wir unseren Gefährten, ehe wir ihn aufweckten. Sichtlich verwirrt starrte er uns an und es dauerte eine ganze Weile, ehe er wieder ganze Sätze von sich geben konnte. Er berichtete uns, dass ihn Lailath beherrscht hätte und er sich kaum noch an die Zeit nach der Ankunft in Ysilia erinnern könne. In den Bergen traf er dann aber auf Beorn, welcher Lailath erschlug und ihn so aus seinem Zauberbann befreite. Mythornius konnte auf magische Weise feststellen, dass Hakon tatsächlich unter einem Beherrschungszauber stand und das zudem sein Gedächnis manipuliert wurde – seine Geschichte schien also wirklich glaubwürdig. Roban fand im Steinkreis zudem roten Wüstensand, die Wüstenelfe Lailath könnte hier also tatsächlich den Tod gefunden haben. Allerdings fand der Nostrier auch Spuren von vier verschiedenen Personen, zwei Männern und zwei Frauen. Sicherlich also Hakon, Beorn, Lailath und … tja, genau, wer war die vierte Person? Wir vermuteten – zu Recht! –, dass es sich hierbei um Lenya oder besser gesagt Pardona handelte und behandelten Hakon daher mit äußerster Vorsicht. Trotzdem waren wir nicht vorsichtig genug, dass sollten wir noch früh genug erfahren …

Bereits einen Tag später zeigten sich bei Wulf zahlreiche Pocken im Gesicht, die verdächtig nach jenen Zorgan-Pocken aussahen, die wir bereits im Nivesenland kennenlernen mussten. Am nächsten Tag erreichten wir das Städtchen Perainefurten und der dortige Heiler bestätigte unsere Vermutung: Es waren tatsächlich die Zorgan-Pocken! In den folgenden Tagen breitete sich die Krankheit weiter unter uns aus und wir konnten den Kranken mit Gulmond-Tee nur notdürftig Linderung verschaffen. Natürlich kamen wir dementsprechend auch wesentlich langsamer voran als ich es mir erhofft hatte und so konnte Beorn seinen Vorsprung noch weiter ausbauen. Heute weiß ich, dass uns damals die neunmalverfluchte Pardona durch die Augen Hakons verfluchte, doch dies fanden wir leider erst viele Wochen später heraus …

Die Stadt Ilsur erreichten wir dann schließlich am 3. Rahja. Während die Gesunden in der Stadt nach jenem Mann aus Shayas Vision Ausschau hielten, ordnete ich an, dass die kranken außerhalb der Stadt in einem Zelt bleiben sollen – ich wollte kein zweites Norburg, das Wohl! Die Suche nach einem Schiff war mühselig, denn sobald man das Wort ‚Seeschlangenjagd‘ auch nur erwähnte rannten die feigen Binnenschiffer wie fette Granden von dannen, Hranngarschiss! Mythornius und Roban hatten dann aber schließlich doch Glück. Sie fanden Kapitän Bacha, welcher den Haifänger ‚Sturmvogel‘ besaß und am 17. Rahja zur Südostküste Maraskans auslaufen wollte. Bacha war bereit uns gegen Sold als Haifänger mitzunehmen und erklärte sich auch damit einverstanden, bei der Sichtung einer Seeschlange diese anzugreifen. Tja, im Nachhinein bin ich mir sicher dass Bacha die Erzählungen über Seeschlangen allesamt für Hranngarschiss hielt und nie im Leben damit rechnete, dass wir tatsächlich auf solche Wesen stoßen sollten. Tja, der sollte sich noch wundern, bei Swafnir!“ Phileasson grinst und auch in den fremdländischen Zügen des in dicke Pelze gewandeten Mohas erscheint ein wissendes Schmunzeln. Asleif fährt fort: „Die Mannschaft des Haijägers bestand aus über 30 Männern, heute kann ich mich kaum mehr an die Hälfe von ihnen erinnern. Die meisten leben auch gar nicht mehr … Von allen ist mir Tashtego, ein riesiger Moha, am Besten im Gedächtnis geblieben. Er war ein guter Haijäger und auch ein tapferer Kämpfer, das haben wir später auf der Insel der Risso gesehen. Doch ich greife wieder einmal vor.

Die Tage bis zum Aufbruch vergingen recht ereignislos und unsere Männer hatten genug Zeit, sich von den Pocken zu erholen. Eine gute Woche später hatten alle die Krankheit überstanden und lediglich hässliche Narben zierten noch das Gesicht einiger meiner Leute. Doch – Swafnir sei's gedankt! – überlebt haben sie die Pocken alle!“

Phileasson kratzt sich am Hinterkopf und blickt zu Mandred: „Hm … den denkwürdigen Kampf gegen zwei – ja, zwei! – Seeschlangen, den erzähle ich dir heute noch Mandred. Das wird aber auch der letzte Abschied meiner Saga für heute sein.“ Der Hetmann schaut sich suchend um und erblickt schließlich Jorgen Olgulfson. Während er eine Laus zwischen seinen Fingern zerquetscht ruft er dem braunhaarigen Nordmann zu: „Heda, Jorgen, tisch nochmal ordentlich auf, mit vollem Magen erzählt sich eine Saga doch gleich viel besser!“

 

Anfang   zurück   top   weiter