Roban Loken, Schmiedegeselle aus Nostria

 

 

„Ein Junge!“ Als der Kleine zu schreien anfing, war alles andere für kurze Zeit vergessen. Gasparyn Loken lächelte seine Frau Linai an, die ihm soeben seinen dritten Sohn geschenkt hatte. Helmar, der Erstgeborene, war schon sechs, Ingalf war vier und die kleine Yasmina war gerade zwei Jahre alt geworden. „Roban soll er heißen!“ verkündete der stolze Vater, als er den neugierig schauenden Jungen, von der Hebamme in ein Laken gewickelt, hoch hielt.

Die kleine Familie lebte gut hier in dem kleinen Holzhaus in Tanzias. Salza und Salzerhaven waren zu Fuß in einer halben Stunde zu erreichen und dort ging Gasparyn auch seinem Zimmerei-Handwerk nach. Linai versorgte als Wundärztin die Verletzungen von Abenteurern, Arbeitern und Soldaten meist von zu Hause aus.

Robans übergroßes Interesse an allem Unbekannten war schon erkennbar, als er noch keinen Schritt groß war. Mit sieben Götterläufen versuchte er herauszufinden, was sich in dem alten Brunnen am Dorfrand befand und stürzte fünf Schritt tief in das kalte Wasser. Drei Stunden musste er strampelnd ausharren, bis seine Hilferufe gehört wurden.

Nach diesem Erlebnis stillte der Junge seine Neugier mit anderen Dingen und war oft in den Wäldern oder aber in Salzerhaven unterwegs. Besonders angetan war er von den Drachenbooten und den großen Thorwalern. Dort am Hafen lernte er auch Salix kennen, der zwar gut zwei Götterläufe älter war als Roban, aber genau den gleichen Unfug im Kopf hatte. Und zu zweit machte das Erkunden der Umgebung auch viel mehr Freude. Ihr liebstes Spiel war die Verteidigung vor Orkangriffen, die in Wahrheit ja leider immer mal wieder vorkamen, auch wenn Salza sonst ganz gut von den Kriegsgeschehnissen verschont blieb.

Mit zehn Jahren begann Roban sich seine ersten Heller selbst zu verdienen. Leomar, der örtliche Viehzüchter, den Roban schon länger kannte, fragte ihn, ob er während der warmen Monde nicht gerne seine Schafe auf den Weiden hüten wolle. Roban tat dies gerne und war sehr stolz auf seine ersten Kronen, die er nach Hause brachte. Bald darauf wurde er gar Dorfhirte und hatte auf über 100 Schafe Acht zu geben, sich mit seinem Dolch gegen Wölfe zu wehren und wegen Viehdieben die Augen offen zu halten.

Trotzdem blieb immer noch genug Zeit, um sich mit Salix in den Steineichenwäldern herum zu treiben oder Wurfübungen mit seiner neuen Axt zu machen. Ein brummeliger Thorwaler hatte ihm das Wurfbeil geschenkt, damit er ihn endlich in Ruhe lies, nachdem Roban ihm Löcher in den Bauch gefragt hatte, über Drachenboote, das Meer und die roten Haare der Thorwaler.

Wenn der strenge Winter in Nostria Einzug hielt, gab es für Roban auf der Weide nichts zu tun und Gasparyn fand es sei an der Zeit eine Lehrstelle zu suchen. Helmar hatte in Honingen als Fleischerlehrling angefangen und Ingalf hatte ebenfalls in Honingen eine Aufgabe als Tischler gefunden. Roban wollte aber nicht weg aus Tanzias, weshalb sich Gasparyn bei der Gilde und bei Zolthan dem Schmied erkundigte, ob Roban bei ihm in die Lehre gehen könne. Zolthan war ein nicht gerade gesprächiger, forscher, älterer Mann. Aber von der Schmiedekunst, davon verstand er eine Menge. Außerdem hatte er immer viel zu tun, da außer den Holzköpfen aus Andergast auch die Orks wieder verstärkt Probleme machten.

Die ersten Wochen waren hart, da Roban solch körperlich anstrengende Arbeit nicht gewohnt war und Zolthan ihn auch viel von der Drecksarbeit machen ließ, wie abends die Esse zu reinigen oder den holzbeplankten Boden der Schmiede von den Metallsplittern zu befreien. Aber Roban fand seine neue Arbeit auch ungeheuer interessant und durch seine Neugier und gezielten Fragen fand langsam auch Zolthan Gefallen daran, dem Jungen seine Tricks und Kniffe beizubringen. So hatte Roban auch ein Glitzern in den Augen, als er zum ersten Mal flüssiges Metall in das Gesenke goss und brachte nach einigen Monden mit sichtbarer Zufriedenheit seinen ersten selbst hergestellten Dolch nach Hause.

Im Sommer war Roban jetzt nur noch selten mit den Schafen auf der Weide, zu sehr brauchte Zolthan seine Hilfe beim Herstellen neuer Äxte und Schwerter. Der junge Felian führte jetzt die Schafe auf die Weiden.

Abends zog Roban meistens mit Salix umher oder aber mit Gissa. Die hübsche Gissa hatte er vor einigen Monden, als Firun noch seinen kalten Atem über das Land blies, zum ersten Mal so richtig wahrgenommen und er unternahm jetzt oft auch mal was mit ihr. Das war zwar nicht schöner als mit Salix, aber irgendwie anders. Salix hatte ihm neulich offenbart, dass er bald aus Salza weggehen würde. Er war schon seit einem halben Jahr mit seiner Lehre fertig und wollte in Havena sein Glück suchen, etwas Neues kennen lernen.

Bei seinem Abschied versprachen sie sich, dass dies nicht das letzte Mal war, dass sie einander sehen.

An einem lauen Abend am Feuertag hatte Roban doch einmal wieder Lust, nach seinen Schafen und Felian zu schauen. Er suchte einige der Weiden ab, fand sie aber nicht. Dafür entdeckte er auf einer Hügelkuppe in einer lichten Baumgruppe aus Steineichen einen wunderschönen Platz, von dem aus man auf das Meer der Sieben Winde und über das entfernte Tanzias sehen konnte. Das musste er unbedingt Gissa zeigen.

Nur gut eine Stunde später lagen sie nebeneinander im Gras und bewunderten, wie die Gestirne sich im entfernten Wasser spiegelten und am Horizont ein einsames Drachenschiff nördlich seiner Heimat zusteuerte.

Roban war so vertieft in das Gespräch mit Gissa, dass er erst zu spät das Knacken hörte. Sofort sprang er auf und zog die überraschte Gissa mit hoch. „Was...?“, - „Psst!“ flüsterte Roban. Hinter ihnen hörten sie ein Rascheln und fuhren herum. Da stand er. Roban hatte noch nie einen gesehen, nur die Erzählungen gehört. Und er war größer als er gehofft hatte.

Der Ork stand zehn Schritt vor ihnen und grinste böse. In dem Moment als Gissa sich an Roban klammerte, hatte er noch den Glauben, dass sie ihm davon laufen könnten. Doch da traten die vier anderen Ungetüme mit gezückten Waffen hervor. Sie waren umstellt.

Die Situation war so eindeutig, dass sich ein Ork scheinbar zu einer spöttischen Bemerkung hinreißen lies, woraufhin alle anderen in raues Lachen ausbrachen. Diesen kurzen Augenblick der Unaufmerksamkeit nutzte Roban und genau da, wo gerade noch ein lachendes Gesicht zu sehen war, traf sein Wurfbeil. Blut spritzte und der Ork ging wie eine gefällte Steineiche mit einem dumpfen Rumms zu Boden. Die anderen Orks waren so überrascht, dass Roban mit Gissa an der Hand durch die Lücke aus dem Wald stürmen konnte. Mit großen Schritten rannten sie den Hügel hinunter auf die beleuchtete Siedlung zu. Zu viert würden sich die Orks nicht zwischen die Häuser wagen, doch noch war es nicht geschafft. Sie hatten zwar einen guten Vorsprung, doch die wütenden Schwarzfelle würden noch nicht aufgeben. Plötzlich schrie Gissa auf, stolperte und fiel nach vorn hin. Roban wollte ihr gerade aufhelfen als er zwischen ihren Schulterblättern die Befiederung des Pfeils sah. Als er sie umdrehte sah er auch die Spitze des orkischen Kriegspfeils. Gissa bewegte sich nicht. Das Grölen der heranstürmenden Orks riss ihn aus seiner Trance. Er legte sich Gissa über die Schultern und fing an zu laufen. Das Gewicht des Mädchens war für seine kräftigen Arme keine Schwierigkeit, doch seine Beine fingen an zu brennen. Ein Pfeil zischte nur knapp  an ihnen vorbei aber die beleuchteten Häuser von Tanzias waren schon nahe. Panik stieg in Roban auf, als er keine Menschen draußen sah und als ihm langsam die Kräfte ausgingen, fing er an zu schreien.

Robans Körper zitterte und alles verschwamm vor seinen Augen. Er war entkräftet und fiel auf die Knie. Da sah er jemanden. „ORKS!“ rief dieser. Die meisten der Leute, die nun aus den Häusern kamen, sahen die flüchtenden Schurken aber nicht mehr.

Gissa wurde in ein Haus gebracht. Viele Leute standen traurig oder fassungslos da. Der Pfeil hatte sie scheinbar auf der Stelle getötet. Der aufkeimende Zorn der umstehenden Leute war fast greifbar. Auch Roban hatte Tränen in den Augen und eine unglaubliche Wut im Bauch. Er blickte in das harte Gesicht von Gissas Vater, konnte aber nichts sagen. Er sah, wie dieser sein Schwert aus einer Truhe holte. Gasparyn nahm Roban zur Seite und drückte ihm eine Streitaxt in die Hand.

Roban, die beiden Väter und noch sechs weitere Männer suchten über eine Stunde. Dann hatte einer das Lager der kleinen Gruppe ausgemacht und die Männer gingen in Position. Als sie das Lager stürmten, hatten drei der vier Orks nicht einmal die Gelegenheit, ihre Waffe zu heben. Roban sah in ein überraschtes Gesicht, das er schon von vorhin kannte. Seine Axt traf den Oberarm und der Hüne heulte auf. Der zweite Schlag war besser gezielt und ließ das Heulen verstummen...

 

 

Gut einen Götterlauf später

Robans Körper war nass vor Schweiß. Delilah stöhnte leise auf, als er sein Becken nochmals kraftvoll nach vorne bewegte. Da Delilahs Eltern in Salzerhaven arbeiteten und über die Mittagsstunden nicht hier zu erwarten waren, hätte sie gar nicht so leise sein müssen. Schmunzelnd bemerkte Roban, dass man von Delilahs Fenster fast genau die gleiche Aussicht auf die große, alte Eiche hatte, wie vom Bett ihrer älteren Schwester.

Roban hatte nur noch ein paar Minuten Essenspause und Zolthan mochte es nicht, wenn er zu spät kam. Gerade weil sie wieder einen größeren Auftrag bekommen hatten. Da durchzuckte Roban ein greller Blitz, der ihm einen heißkalten Schauder über den Rücken jagte und seinen Kopf in den Nacken warf. Genussvoll schloss er die Augen und ließ sich nach einigen letzten Stößen auf Delilahs schönen Körper sinken. Beide atmeten noch heftig. Während er sich ihren Armen entzog, dachte er an letzte Nacht. Er hatte wieder seine Alpträume gehabt. Oft drehten sie sich um die Geschichte mit Gissa und den Orks. Viele hatten ihm nach diesen Geschehnissen gesagt, es sei eine mutige Tat von ihm gewesen. Vor allem als man am nächsten Tag den toten Ork von der Lichtung geholt hatte. Robans Beil hatte noch immer in dessen Kopf gesteckt. Doch er fühlte sich nicht mehr wohl hier in Nostria. Zu viel erinnerte ihn an Gissa und auch Salix hatte er seit seinem Abschied nicht wieder gesehen.

Zolthan hatte vor ein paar Wochen einen neuen Lehrling, Anchas, eingestellt, als Roban seine Gesellenprüfung mit Bravour bei den Gildenmeistern abgelegt hatte. Zolthan wusste es. Genau wie Linai und Gasparyn. Nur Roban selbst war sich dessen noch nicht bewusst gewesen. Doch als er heute kurz nach der Mittagsstunde aus Delilahs Haus trat, war er sich gewiß: er wollte hier weg. Auf die Walz gehen, die Welt erkunden und neue Erfahrungen machen. Er hatte zwar kein Geld und auch keine besondere Ausrüstung. Doch mit seinem Selbstbewusstsein und seiner Neugier würde er sich überall durchsetzen können.