Die Phileasson-Saga: Alte Freunde, alte Feinde

Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko

aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson

 

Ottaskin der Hetleute, Thorwal

11. Firun 1009 nach Bosparans Fall

 

Eine weitere eisige Winternacht liegt über Thorwal. Es ist kurz vor Mitternacht und in der Großen Halla im Prunkjolskrim der Hetleute sitzt Asleif Phileasson, der König der Meere, und leert gerade mit einem gewaltigen Zug sein Trinkhorn mit Premer Feuer. Zu beiden Seiten tun es ihm Mandred und der Moha Ynu gleich und auch die übrigen Nordleute leeren nach und nach ihre Trinkhörner. Mit einem zufriedenen Seufzen wischt sich der Hetmann über den eisblonden Bart und stellt dann sein Horn achtlos auf den schweren Eichenholztisch ab. Dann lehnt er sich mit verschränkten Armen zurück und fährt mit seiner Saga fort:

„Nun, von Dotzen aus war es nicht mehr allzu weit bis zum Silvanden Fae'denKaren. Allerdings ist das ganze Bornland ein einziger Wald, der dazu noch überall gleich aussieht, doch dank Shirandras Elfensinnen konnten wir den Zauberwald Niamhs tatsächlich recht schnell wiederfinden. Diesmal wussten wir ja, wie man in den verzauberten Wald der Hochelfe hineinkommt und so verbanden wir uns die Augen und ritten einmal mehr blindlings in den Wald hinein. Wie schon beim letzten Besuch führte uns der Pfad ins Zentrum des Waldes zum See Duan, egal welche Richtung wir auch einschlugen. Dort erwartete uns bereits ein Nachen, der uns erneut zu Niamh auf der kleinen Insel Oisin brachte. Oisin der-ins-Dunkle-ging, das tragische Schicksal von Niamhs Geliebten hatten wir ja während dem Untergang Tie'Shiannas miterleben müssen.

Wir hatten viel zu erzählen und es dauerte lange, bis wir der edlen Elfe alle Erlebnisse auf den Inseln hinter den Nebeln berichtet hatten. Niamh standen Tränen in den Augen, als wir ihr vom schrecklichen Schicksal ihres für viele Jahrtausende tot geglaubten Freundes Fenvarien erzählten. Wir berichteten auch von der zwölften Prophezeiung Shayas und der unserer Meinung nach Niamh zugedachten Rolle bei der Heilung des Hochkönigs. Die Elfe zögerte nicht lange, packte ihre Zauberharfe und war bereit, für ihren alten Freund erstmals seit Jahrhunderten den Silvanden Fae'denKaren zu verlassen! Sie ließ ihre Heimstätte in der Obhut des Einhorns Kershwiki zurück und schon bald standen wir zusammen mit der Harfnerin am Rande ihres Zauberwalds. Von Beorn und Fenvarien allerdings fehlte jede Spur. Hatten wir den Blender überholt? Selbst wenn, so hatten wir einen vollen Tag im Zauberwald verbracht, so viel Zeit konnten wir für die kurze Strecke vom Rabenpass zum Silvanden Fae'den Karen gar nicht aufgeholt haben. Wir vermuteten also, dass sich Beorn und seine Leute irgendwo zwischen der Gelben Sichel und der Stadt Norburg aufhielten und reisten daher auf der Kronstraße zurück bis nach Dotzen. Dort erfuhren wir dann, wo der Blender und seine Leute abgeblieben waren: In Norburg, allerdings alles andere als freiwillig! Die Leute erzählten uns nämlich von einem einäugigen Thorwaler und seinen Schergen, die bereits vor Monden als vogelfrei ausgerufen wurden und nun endlich gefasst worden sind. Tja, du kannst es dir sicher denken, Mandred, zum Teil sind sicher meine Leute und ich an dieser Sache schuld, denn immerhin waren wir es, die damals Phanta und Hern'Sen aus dem Norburger Schuldturm befreiten. Die Runjas können schon richtige Biester sein, bei Firun!“ Während er nach seinem Tonbecher greift, huscht ein schiefes Grinsen über das wettergegerbte Gesicht des Hetmanns. Asleif nippt leicht an dem Honigwein, dann spricht er weiter:

„Na ja, trotz allem war aber auch etwas faul an dieser Sache, denn Beorn und seinen Männern drohte die öffentliche Hinrichtung, eine völlig überzogene und eigentlich nicht zu verstehende Entscheidung des Norburger Stadtrats. Da neben Beorn und seinen Leuten also auch Fenvarien der Tod drohte hatten wir keine andere Wahl, als einmal mehr dem Norburger Schuldturm einen Besuch abzustatten, das Wohl! Kurz vor Norburg machten wir dann eine grausige Entdeckung: In einem eisernen Schandkäfig saß eine zerschundene Frau, die wir erst auf den zweiten Blick als die Magierin Thalia ya Arres erkannten. Thalia war übel zugerichtet, sie trug eine eiserne Maske und zudem hatte man ihr die rechte Hand abgeschlagen. Der Armstumpf war bereits schwarz und faulig stinkend, hier kam jede Hilfe zu spät. Thalia berichtete uns mit ersterbender Stimme, dass die finstere Pardona die Macht im Norburger Stadtrat an sich gerissen hatte und sie es sei, die hinter der geplanten Hinrichtung von Fenvarien und der Ottajasko des Blenders steckte! Nun also ergab alles einen Sinn! Wulf erlöste die geschundene Thalia schweren Herzens von ihren Qualen und dann ging es weiter nach Norburg!

Für einen ausgefeilten Plan hatten wir dieses Mal keine Zeit und so wurde die Befreiung von Fenvarien sowie Beorn und seinen wenigen verbliebenen Leuten zu einem blutigen Kampf, bei welchem auch einige der Norburger Gardisten den Tod fanden. Bei Swafnir, ich bin nicht gerade stolz auf diesen Teil der Saga, das Wohl! Doch manchmal führt eine jede aller möglichen Entscheidungen zu einem blutigen Ende, die Runjas weben ihre Schicksalsfäden eben manchmal grausam und ohne Mitgefühl. Der Magier Baralbus fehlte übrigens, dieser hatte sich auf magische Weise kurz vor der Verhaftung durch die Norburger Stadtgardisten abgesetzt. Den feigen Kerl haben wir seitdem nie wieder gesehen, bah! Beorn indes erkannte nun endlich die wahre Bedeutung von Fenvariens Heilung und legte alle unsere Streitigkeiten beiseite, um gemeinsam aus dem verfluchten Norburg zu entkommen. Der Hochkönig selbst war in seinem momentanen Zustand dabei allerdings alles andere als eine Hilfe.“ Phileasson blickt zu Thorn Beornson und spricht weiter:

„Ja, in Norburg hat dein Vater seinen Verrat im Tal der Träume wieder gut gemacht, das Wohl! Während der Flucht aus der Stadt hatten wir kaum Zeit, doch einige Dinge über den Himmelsturm und das perfide und grausame Vorgehen der finsteren Pardona konnte er mir doch erzählen. Ich sage damit nicht, das alles, was Beorn getan hat, die Schuld Pardonas ist, doch mir ist klar, dass es unter diesen Umständen nicht einfach war, den richtigen Weg im Auge zu behalten, das Wohl!“ Bei diesen Worten nickt Thorn Beornson bekräftigend. Der bleiche Schiffsmagier Aleya Ambareth hingegen schmunzelt, so als ob er als einziger der anwesenden Nordleute auch die versteckte und vielleicht auch ungewollte Spitze des Hetmanns verstanden hat. Asleif spricht indes weiter:

„Niamh standen erneut Tränen in den Augen, als sie ihren Freund in all seiner Qual und in all seinem Elend leibhaftig vor sich sah. Nun wussten wir also ohne jeden Zweifel, dass es sich bei dem verrückten Elfen wirklich um den Hochkönig des gesamten Elfenvolks handelte. Bei Swafnir, was muss Fenvarien über die Jahrtausende nur alles erlitten haben! In höchster Eile ging es nun in Richtung Südosten, um die Ruinen des Wachturms Da'lirielâs inmitten der Grünen Ebene zu erreichen. Dort, so war sich Niamh sicher, würde sie ihre Melodie auf den Geist ihres kranken Freundes einstimmen können. Doch bis zu diesem Ort waren es sicherlich über 40 Meilen, ein wirklicher Gewaltritt stand uns also bevor, teilweise gar mit zwei Reitern auf einem Pony! Schon bald waren uns die Norburger Stadtgardisten dicht auf den Fersen und schließlich erschienen hinter uns auch die dunklen Elfen Pardonas. Beorn, der nach Wiedergutmachung strebte, blieb schließlich mit seinen Recken zurück, um uns einen Vorsprung vor Pardona und ihren Schergen zu verschaffen. Eine wahrlich heldenhafte und mutige Tat, bei Swafnir! Seit damals habe ich weder den Blender noch einen seinen Recken je wieder zu Gesicht bekommen. Mittlerweile glaube ich auch nicht mehr an seine Rückkehr, ich denke vielmehr, das Beorn und seine Männer im Kampf gegen die finstere Pardona und ihre Kreaturen einen heldenhaften Tod fanden.“ Asleif Phileasson hält inne, nimmt sich seinen Metbecher und steht ächzend auf. Dann hebt er den Becher und wartet, bis die übrigen Nordleute ebenfalls aufgestanden sind. Dann brüllt er lautstark:

„Ich trinke auf den tapferen Beorn! Er war einer von uns: Ein echter Thorwaler, mutig, tapfer und furchtlos! Möge er in Swafnirs Hallen schmausen und zechen, das Wohl!“ Die Thorwaler antworten dem Hetmann mit donnernden „Das Wohl!“ Rufen und leeren zu Ehren des Blenders ihre Becher. Thorn wischt sich eine Träne aus dem Auge, dann tut er es den übrigen Männern gleich. Phileasson seufzt und setzt sich schwerfällig wieder auf seinen hölzernen Stuhl. Die langen Abende bei Met und Premer Feuer scheinen den Hetmann sichtlich erschöpft zu haben. Asleif wartet, bis wieder Ruhe in der Großen Halla eingekehrt ist, dann setzt er seine Erzählung fort:

„Dank Beorns Opfer kamen wir schließlich ohne weitere Scharmützel zu einem Steinkreis aus verwitterten Findlingen inmitten der endlos scheinenden Grünen Ebene. Niamh erkannte diesen Ort als einstigen Standort des Wachturms Da'lirielâs wieder. Ich bin mir nicht sicher ob ich das alles richtig verstanden habe, aber scheinbar kreuzten sich hier mehrere Linien aus den Salamandersteinen oder so ähnlich. Na ja, wie dem auch sei, Niamh setzte sich auf jeden Fall zusammen mit dem kranken Hochkönig in den Steinkreis und stimmte sich mit ihrer Harfe auf seine Heilung ein. Frag mich jetzt nicht, wie genau die Harfnerin das gemacht hat, Mandred. Elfenmagie eben. Was auch immer Niamh aber dort machte, es zeigte Wirkung. Um uns herum stieg langsam ein seltsam unwirklicher Nebel auf, der immer dichter und dichter wurde und ähnlich aussah wie jener Nebel, welcher damals die Taubralir kurz vor der Rückkehr an die Küste Thorwals umgab. Doch nicht nur der Nebel war seltsam, die ganze Welt schien irgendwie zu flackern. Mein Blick wurde irgendwie trüb und manchmal sah ich Dinge, die eigentlich nicht sein konnten. Sogar die Luft flackerte! Und über all dem lag die wunderschöne Melodie, die die Harfnerin mit den goldenen Haaren spielte. Nach und nach waren wir alle gefangen in diesem überderisch schönen Lied, welches nur durch das gelegentliche, unpassende Gebrabbel des irren Hochkönigs gestört wurde. Irgendwann wurde aber auch dieses Gebrabbel besser, fast so, als stimmten sich Melodie und Misstöne aufeinander ein! Dann aber tauchte Pardona auf und auf einen Schlag wurde alles anders, das Wohl!“ Phileasson gähnt und streckt kurz seine Arme hinter sich aus, ehe er weiterspricht: „Nun muss ich aber erst einmal den Met loswerden, denn die folgende Geschichte verdient es, ohne Unterbrechung erzählt zu werden, das Wohl!“ Asleif Phileasson trinkt daraufhin seinen Becher aus und erhebt sich von seinem Stuhl. Nachdem er sich seinen Pelzmantel umgelegt hat, tritt er bis vor das große Tor der Ottaskin hinaus in die klirrende Kälte über dem mitternächtlichen Kliff Thorwals. Ein magerer Streuner kläfft ihn draußen an und der Hetmann muss den struppigen Hund erst mit einem wütenden Tritt vertreiben, ehe er seinen gelben Strahl gegen die hölzerne Palisade richten kann.

 

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