Die Phileasson-Saga: Der Himmelsturm

Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko

aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson

 

Ottaskin der Hetleute, Thorwal

5. Firun 1009 nach Bosparans Fall

 

Es ist bereits nach Mitternacht, als der Wintersturm über Thorwal sich endlich zu beruhigen scheint. Noch immer ist es klirrend kalt, doch der unbarmherzige Wind, der über das Kliff Thorwals fegte, legt sich langsam. In der Ferne, über den Weiten von Ifirns Ozeans, spielen geheimnisvolle Nordlichter flackernd am Himmel während über der Stadt nur noch einzelne, verloren wirkende Schneeflocken niedergehen. Der magere Hund, der sich vor der Tür des Langhauses zusammengekauert hatte, sucht winselnd das Weite, als einer der Nordmänner die Tür aufreißt um sich in der kalten Winternacht zu erleichtern.

Im Inneren des Langhauses prasselt noch immer ein wärmendes Feuer und keiner der Anwesenden macht Anstalten, die Halla zu verlassen. Sie alle blicken gespannt in Richtung des blonden Asleif Phileassons, des ‚Königs der Meere‘, und warten darauf, dass dieser mit seiner Geschichte, der Phileasson-Saga, fortfährt. Asleif scheint noch immer sehnsüchtig in weite, nur für ihn sichtbare Fernen zu blicken. Endlich gibt sich der hünenhafte Thorwaler einen Ruck und er greift nach seinem Trinkhorn. Nachdem er sich einen tiefen Schluck genehmigt hat blickt er Mandred wieder an. Dann endlich fährt er mit seinem Bericht fort:

„Einige Tage ging es weiter in der ewigen Ödnis des nördlichen Kontinents. Ich bin mir recht sicher, dass schon seit Tagen kein Land mehr unter uns war sondern lediglich die seit Ewigkeiten von der Eisdecke abgeschirmten, tiefen Wasser des Nordmeers. Nun, am Abend des 12. Tsa geschah dann etwas mehr als Seltsames: Plötzlich ging ein Ruck durch unsere Eissegler und wir begannen langsam aber stetig nach oben zu schweben! Das war ein mulmiges Gefühl, das sag' ich dir! Wir schwebten sicherlich eine gute Stunde voran, immer weiter ging es nach oben. Natürlich versuchten wir die Fahrt zu kontrollieren, doch unser Eissegler reagierte auf keinen unserer Versuche. Es war seltsam, wie in einem Traum. Fässer und Pfeile, später auch gefrorene Leichen von Elfenkriegern zogen träge an unseren Eisseglern vorbei. Im letzten Zwielicht des kurzen Tages, sicherlich mehr als eine Meile über der Eiswüste, zeichnete sich dann ein gewaltiger, flammenförmiger Fels vor uns am Horizont ab – der Himmelsturm! Ich kann gar nicht sagen, wieviele Meilen der riesige Fels in die Höhe ragte, doch dass das Himmelszelt an diesem Turm aufgehängt sein mag, dass glaubte ich wohl, denn etwas Beeindruckenderes sah ich zuvor noch nie.“ Phileasson hält inne, in seinem Gesicht spiegelt sich kurz das gleiche ehrfürchtige Staunen wieder, welches schon einst, als er den Turm erblickte, auf seinen Zügen erschienen ist. Dann spricht er weiter:

„Wir schwebten auf eine Art steinernen Balkon an der Spitze des Felsenturms zu, an welchem auch schon weitere Eissegler anlegten. Beim Näherkommen erkannten wir, dass es mitnichten Beorns Schiffe waren, sondern vielmehr fremdartig gebaute, sicherlich elfische Segler, die schon seit Jahrtausenden hier vertaut lagen. Alles war überzogen mit einer dicken Eisschicht, und auch hier sahen wir zahlreiche Elfenleichen, die wohl einst durch Pfeile, Magie oder blanken Stahl ums Leben kamen.

Na, ich könnte dir noch stundenlang erzählen, wie genau die Eissegler gebaut waren – so eine Kunstfertigkeit, dass sieht man heute wahrlich nicht mehr, das Wohl! Filigran sahen sie aus, doch auch robust und hervorragend geeignet, um im ewigen Eis des Nordmeers geschwind wie der Wind voranzukommen.

Vom eisig kalten, totenstillen Balkon aus traten wir durch ein großes Tor in einen beeindruckenden Saal, der wohl ehemals als Versammlungssaal der Elfen des Turms gedient haben mag. Vom Balkon aus gesehen standen wir auf einer Art Bühne und steinerne Treppenstufen boten Platz für viele hundert Elfen. Eine Treppe führte zwischen den Rängen nach unten, wo sich ein weiteres Tor befand, das ins Innere des Turms führte. Totenstill war es auch hier, und ein Brandgeruch lag noch immer in der Luft. Überall lagen Leichen, die wohl dank der Firunskälte aussahen, als ob sie erst gestern gewaltsam zu Tode gekommen waren. Hier hatte damals der Kampf zwischen den Anhängern Pardonas und den Ratselfen des Himmelsturms stattgefunden. Nun, wenn man den Saal so anschaute und den Visionen einiger meiner Männer Glauben schenken will, so wahr es wohl eher ein Gemetzel, das nur die wenigen Elfen um Emetiel überlebten, deren Grab wir einige Tage zuvor im ewigen Eis gefunden hatten.

Damals wussten wir natürlich nicht wie der Himmelsturm aufgebaut war und was uns erwartete, doch jetzt kann ich dir einen recht genauen Überblick geben: Eine gewaltige, steinerne Wendeltreppe führte im Inneren des Turms von ganz oben bis nach ganz unten und verband so jedes einzelne Stockwerk des meilenhohen Turms miteinander. Stockwerk ist hier vielleicht der falsche Ausdruck, war doch so manches ‚Stockwerk‘ größer als unser prächt'ges Thorwal. Nun, vom Ratsaal nach oben ging es noch in ein kleines Stockwerk, Raum des Lichts genannt, sowie auf die Spitze des Turms, welcher eine Art Wachplattform darstellte. Nach unten, da war es fast endlos. Die Wendeltreppe führte durch zahlreiche riesige Paläste verschiedener Elfensippen, einem künstlichen Meer bis hin zum Erdgeschoss des Turms, in welchem sich eine weit ausladende Eisseglerwerft befand. Weiter runter, unter die Meeresoberfläche, ging es auch, doch dazu will ich dir später mehr erzählen.

Wir bewegten uns zuerst langsam und vorsichtig – totenstill war es ja überall, so dass jeder Schritt, vor allem jene der gerüsteten Angroschim, ob des Lärms wie ein schlimmer Frevel erschien – zuerst einmal die breite Wendeltreppe nach oben. Überall war der Turm erleuchtet, blassblau, von seltsamen, bläulichen Lichtkugeln an der Decke. Der Magus hat bis heute nicht herausgefunden wie diese Kugeln funktionierten, denn außerhalb des Turms erloschen sie sogleich. Schade, wär nämlich nicht gerade schlecht so etwas auf der Otta mitzuhaben, nicht wahr Mandred? Überall waren Wandbilder und kleine Nischen, in denen kunstvoll gefertigte Statuen bekannte und unbekannte Kreaturen darstellten. Einen Sinn für verspielte Sachen hatten sie wirklich, diese Hohen Elfen … das sollten wir noch ein ums andere Mal zu sehen bekommen.

So gelangten wir also in den Raum des Lichts, ein kreisrunder, recht kleiner Raum. Das Besondere war hier der spiegelglatte, kristallene Boden. Auch die Wände und die Decke waren aus dem gleichen Material gefertigt, ebenfalls fugenlos erscheinend. Nun, so seltsam der Raum erschien, sahen wir bei kurzem Tageslicht doch die wahre Funktion dieses Raumes: Sonnenlicht trat durch kleine Öffnungen in den Raum und spiegelte sich an Boden, Wänden und Decke gar tausendfach, so dass der Raum, wenn auch nur für kurze Zeit, in gleißendes Licht getaucht wurde. Wenn man weiterdachte lagen die Öffnungen dieses Raumes in Richtung des Alten Heiligtums, ich denke dass hier irgendeine Art von Verbindung bestand.

Der Treppe weiter nach oben folgend gelangten wir auf die überdachte Plattform des Turms, von welcher man einen gigantischen Blick in alle Richtungen hatte: Endlose, klirrend kalte Eisfläche soweit das Auge reichte! Und, das war das Erfreuliche, kein Beorn weit und breit in Sicht, das Wohl! In der Mitte des Raumes war ein mächtiger, bronzener Gong aufgestellt. Die Verlockung ihn einmal zu schlagen war natürlich groß, doch wer weiß schon, was damit wohl geweckt werden würde. Heute bin ich natürlich froh, denn wir bekamen es noch früh genug mit den jetzigen Bewohnern des Turms zu tun – ja, du hast recht gehört Mandred, der Turm ist bewohnt, auch heute noch! Von Elfen gar, doch nicht von solchen, wie du sie dir vorstellen magst.“

Gedankenverloren dreht Phileasson einen kunstvoll gefertigten, tief schwarzen Dolch in der Hand. Mandred schaut den Hetmann fragend an und erwidert: „Was für Elfen waren es denn, Asleif? Habt ihr dort schon diese dunklen Elfen gesehen, von denen man seit deiner Reise überhaupt erst Kenntnis hat?“ Asleif nickt und spricht weiter:

 „Ja Mandred, doch eines nach dem anderen. Nun, nach oben war der Turm also bald ausgekundschaftet. Nach unten aber ging es fast endlos und dies beschäftigte uns so einige Tage. Das Stockwerk unterhalb des großen Ratsaals war der Palast der Brüder. Dort lebten wohl einst Ometheon, der Gründer und Erbauer des Turms, sowie sein Bruder Emetiel, bevor die trügerische Elfe Pardona kam und die beiden entzweite. Über dem Eingang war ein Wappen, Köcher und Zirkel darstellend, zu erkennen. Da Emetiel ein herausragender Jäger war und Ometheon wohl der fähigste Baumeister des Zeitalters liegt es nahe, wieso dieses Wappen gerade so aussah.

Nach einigen Schritt gelangten wir in einen völlig überwucherten, wild gewachsenen Garten – na, Dschungel passt eigentlich besser. Stell dir vor Mandred, mitten im ewigen Eis! Der Turm war nämlich beheizt und ist es auch heute noch, durch heiße Luft aus dem Inneren des Berges. Stell dir das mal vor, meilenlange Röhrensysteme, die die Gaben der Erde durch den ganzen Turm leiten, das Wohl! Ich frage mich heute noch, ob auch das Kliff Thorwals im Inneren heiße Luft besitzt und man damit ganz Thorwal beheizen könnte. Es lebten sogar noch Tiere dort, Katzen, Nager und Vögel, Jahrtausende nachdem die Herren des Turms ihre Heimat verlassen hatten.

Weitere Räume, die von diesem riesigen Garten aus erreichbar waren, stellten eine Art Labor dar, zumindest sah man Tontiegel und seltsame Gerätschaften allerorten, sowie eine kleine Werkstatt zum Häuten von allerlei Getier. Muffig wars da, das kann ich dir sagen. Des Weiteren fanden wir eine Art Empfangsraum mit einem Brunnen, einen Speisesaal sowie einer Küche vor, allesamt mit einer dicken Staubschicht überzogen und schon seit Jahrtausenden nicht bewohnt – sieht man einmal von den Spuren der allgegenwärtigen Nager und Spinnentiere ab. Auch eine kleine Bibliothek war vorhanden, hier war unser Magus natürlich sogleich Feuer und Flamme. Na ja, aber du kannst dir vorstellen, was Satinavs Hörner und Millionen von Nagern mit Pergamentrollen so anstellen. Dementsprechend frostig sah die Miene des Magus auch aus. Ich glaube unter all den Regalen hat er lediglich eine einzige noch lesbare Schriftrolle gefunden – keine Ahnung, irgendeine elfische Zauberei, kam mir damals kaum wichtig vor. Einen Schlafsaal wie auch einen Trophäenraum fanden wir ebenfalls noch vor. Eine Schande, dieser Trophäenraum – all die wohl einst prächtig anzuschauenden Tiere aus allen Winkeln der bekannten und unbekannten Welt, zernagt von gewöhnlichen Ratten und anderem Kriechgetier.

Weitere Räume erkundeten wir, es waren recht viele an der Zahl. War ein richtiger Palast, viel größer als unsere Ottaskin hier. Sogar einen Baderaum fanden wir vor – das Wasser war immer noch frisch und angenehm warm, auch noch nach dieser Zeit. Weißt du, eigentlich wäre dieser Turm auch heute noch bewohnbar und man würde dort recht gut leben, wären da nicht diese anderen Elfen. Na, zu dieser Zeit dachten wir noch der ganze steinerne Turm wäre schon seit Jahrtausenden unbewohnt und das Schlimmste was wir finden könnten wären noch weitere Elfenleichen. Bah, Hranngarschiss, was für ein Irrtum! Heda, mehr Met!“

Mit diesen Worten winkt Asleif einen Diener herbei, der ihm und Mandred nachschenkt. Gedankenverloren dreht Phileasson das Trinkhorn in den Händen, einige Tropfen des goldgelben Mets bleiben dabei an seinen Händen kleben. Während der Hetmann die Hände an seiner ledernen Hose abwischt fährt er fort zu berichten:

„Von diesem Palast aus sind wir der Wendeltreppe dann weiter nach unten gefolgt. Plötzlich, von einer Stufe auf die nächste, waren Wände, Stufen und gar Decke ganz schwarz und glatt. Sicherlich war das auch hier Elfenzauberei! Na, so dunkel war es, dass man nicht einmal mehr seine Waffe vor Augen mehr sehen konnte. Wir sind also sehr langsam und vorsichtig in der Grabesstille des Turms weiter nach unten gegangen. Nach gut zwanzig Schritt standen wir in einem kreisrunden Raum. Im Gegensatz zum erstaunlicherweise warmen Palast der Brüder war es hier wieder merklich kühler. Heute weiß ich natürlich warum es hier kühler war. Damals hatten wir hingegen keine Ahnung was dieser Raum darstellen soll. Da sind plötzlich überall auf, nein in den Wänden Lichter erschienen und zwei dämonisch scheinende, handtellergroße und leuchtende Augen über einem zahnbewehrten Maul starrten uns an! Es wäre fast Panik ausgebrochen, doch dann erkannten wir, was das hier wirklich war: durch die seltsamen, spiegelglatten Wände konnte man hinaus in den dunklen Ozean Ifirns schauen, und das dämonische Wesen war eigentlich nur ein abgrundtief hässlicher, widerwärtiger Fisch!

Nachdem wir das Schauspiel – wer kann schon von sich behaupten, solch wundersame Geschöpfe, auch wenn sie noch so grausig anzuschauen sind, gesehen zu haben? – eine Weile betrachtet hatten stiegen wir die Wendeltreppe weiter nach unten.

Schon nach wenigen Stufen weiter abwärts erreichten wir den nächsten Palast – den Palast des Ometheon, dem Gründer des gleichnamigen Turms. Auch hier gelangten wir zuerst in einen Garten, durch welchen man dann weiter in das Innere des Palasts vordringen konnte. Westlich des Gartens lag eine kleine Werkstatt, in der Ometheon wohl einst an Tieren aller Art forschte. Muffig und abgestanden war die Luft auch hier, und bei genauerer Untersuchung der zahlreichen Knochen konnte Mythornius sogar seltsame Veränderungen der Knochen feststellen – als ob sie von Tieren stammen würden, die es eigentlich gar nicht gibt, nicht geben durfte. Hat es wohl mit seiner Göttlichkeit zu weit getrieben, Hranngar sei verflucht! Eigor konnte dann auch einige Schriften entziffern, die gar widerliche Details der Versuche Ometheons erkennen ließen. Katzen und Vögel kreuzen, Spinnen und Fische paaren … bah, so schöne Dinge diese Elfen auch erschufen, so widernatürliche Sachen gibt es dort auch allenthalben!

Alsbald hatten wir diesen schrecklichen Raum hinter uns gelassen und erkundeten den Rest des Palasts. Auch hier gab es einen Brunnenraum, einen Speisesaal mit Küche und einige weitere kleine Räume, deren Sinn mir teilweise verborgen blieb.

Als wir in eine Art großen Saal eintraten hörten wir plötzlich Stimmen! War vorher, abgesehen von Kleingetier und Krabbelzeug, alles tot und verlassen in diesem riesigen Turm, so kannst du dir ja vorstellen, wie überraschend das nun war. Ohne einen Laut und mit gezogenen Klingen drangen wir langsam in den nächsten Raum vor …“ Asleif hält kurz inne, während Mandred und die anderen Zuhörer trotz der späten Stunde wie gebannt an den Lippen des Kapitäns hängen. Während draußen wieder das Jaulen eines Hundes zu hören ist, fährt der Hetmann fort:

„Da sahen wir an einem Tisch einen Elfen sitzen! Er schien uns überhaupt nicht zu bemerken, selbst als wir vor Überraschung nicht gerade leise stehenblieben sind. Über dem Elfen erschien ein Dolch, während dieser mit einer seltsam verzerrten Stimme anfing zu sprechen. Erst dachten wir, er spricht zu uns, hatte uns also doch entdeckt, und wir wollten ihn schon vor dem Dolch warnen, doch dann erkannten wir, wie durchscheinend und seltsam der Elf doch aussah – ein Geist? Im nächsten Augenblick stand er auf, umarmte eine offensichtlich nicht vorhandene Gestalt, nur um sogleich den schwebenden Dolch in den Rücken gestoßen zu bekommen. Er brach zusammen und eine Blutlache breitete sich rasch unter dem Elfen aus, während er mit ersterbendem Blick weiter in Richtung des Dolchs starrte. Dann sprach er – Eigor hatte große Mühe das Ganze zu übersetzen – in Richtung des Dolchs: Auch du, Pardona? Warte, lass mich nicht alleine sterben! Hast du mich nie geliebt? Sag mir wenigstens warum das alles! Darauf brach der Blick des Elfen und kurz danach verblasste auch der Leichnam des Elfs. Wir waren Zeuge der Ermordung Ometheons geworden, die wie zum Hohn wohl noch immer in den Gemächern des Palasts stattfand, immer und immer wieder. Weder konnten wir ihm helfen, noch konnten wir ihn warnen, so dass wir schließlich weitergingen in der Hoffnung, das ganze sei nur eine seltsame Illusion und nicht der auf ewig ruhelose Geist des Hochelfen, dazu verdammt, niemals Ruhe zu finden, ob des Frevels an den Göttern.

So beeindruckend und weit ausladend die beiden Paläste auch waren, als wir weiter nach unten gingen sollte es noch weitaus beeindruckender werden. Noch zwölf weitere Stockwerke mit Elfenpalästen, einer größer und beeindruckender als der andere, sollten auf unsere Erkundung warten. Jeder Palast an sich war sicherlich weit größer als Thorwal oder gar das verruchte Al'Anfa, und alle waren sie beheizt und hatten prächtige Gärten und noch vielerlei Wunder mehr zu bieten!

Da gab es den Palast der Glasbläser, deren Wappen eine Flamme darstellte. Unzählbar viele Räume und Gänge gab es dort, so dass wir Mühe hatten uns nicht zu verirren. Ein seltsam anmutendes Labyrinth mit spiegelnden Wänden und Decken fanden wir dort vor, doch wieso die Elfen einst diesen Raum erbauten wussten wir nicht. Zur Freude? Als Gefängnis? Uns gelang es nicht, das ganze Labyrinth zu erkunden, obwohl wir teils brachiale Methoden einsetzten.

Einen Palast der Vogelherren gab es, die sich wohl ganz der Kunst der Vogelzucht verschrieben hatten. Ich denke, von hier kamen wohl auch die zahlreichen Singvögel und Raben, die allerorten im Himmelsturm zu finden waren. Die Raben, das hab' ich ganz vergessen zu erzählen Mandred, konnten sogar sprechen! Einzelne Sätze wohl nur die sie sicher nicht verstehen konnten, doch trotz allem konnten sie sprechen! Mythornius hat aus diesem Palast auch noch einen seltsamen Umhang aus Adlerfedern mitgenommen, der sehr intensiv nach Raubvogel roch. Sicherlich verzaubert, aber na ja, eigentlich war hier alles durch und durch von der Magie der Elfen durchdrungen, das Wohl!

Einen Palast der Dichter fanden wir, als Wappen war hier eine Schreibfeder über dem steinernen Eingang zu finden. Eine riesige Bibliothek fand sich in den Weiten des Palasts und dem Magus standen Tränen in den Augen, als er den Zustand der zahlreichen Bücher und Pergamentrollen dort sah.

Ein weiterer Palast, über dessen Eingang zwei gekreuzte Schmiedehämmer zu erkennen waren, weckte das Interesse von Roban – und abfällige Kommentare der Angroschim, sind die Elfen doch nicht gerade als Meister der Schmiedekunst bekannt. Nun, nachdem wir den Palast erkundet hatten, mussten auch die beiden Zwerge zähneknirschend zugeben, dass zumindest die Hohen Elfen früherer Zeit in der Schmiedekunst eine Kunstfertigkeit an den Tag gelegt haben, die heute ihresgleichen sucht. Roban war ganz hin und weg und packte schimmernde und teils bläuliche Metalle sowie Werkzeuge ein, soviel er eben tragen konnte. Du ahnst vielleicht schon, was der Nostrier später daraus schmieden sollte.

Ein weiterer Palast, der Palast der Goldschmiede, war so ganz nach dem Geschmack Ungrimms. Allerdings war die Enttäuschung endlos, als wir feststellen mussten, das hier schon vor uns Plünderer den Weg in den Turm gefunden hatten. Damals wussten wir noch nicht, wer diese Plünderer gewesen sein konnten, doch heute denke ich, dass es die dunklen Elfen waren, die hier vor uns da waren.

Einen Palast der Magier fanden wir ebenso vor. Auch hier waren weitläufige Gänge und unzählige Zimmer und Hallen vorhanden, doch sicherlich am Beeindruckendsten war ein riesiger Saal, in dem man – je nachdem in welche Richtung man schaute – in einen grünen, dichten Wald blickte, in einer flirrend heißen und endlos erscheinenden Wüste stand oder sich an einer Meeresbucht wiederfand, den Geruch von Salz und Fisch in der Nase.

Auch einen Palast der Schiffsbauer gab es die sich, wie es der Name schon vermuten lies, ganz dem vollendeten Bau kunstvoller Eissegler gewidmet hatten. Sehr beeindruckend war hier auch die Zahl an genauen Seekarten und Landkarten, die wir hier vorfanden. Meine Männer zeichneten in mühevoller Arbeit auch eine übergroße Karte ab, die ganz Aventurien darstellte, wie es wohl zur Zeit der Hochelfen ausgesehen haben mag. Zahlreiche Elfenstädte waren hier eingezeichnet und wir hofften, vielleicht später einmal noch weitere Städte erkunden zu können. Tja, Tie'Shianna zum Beispiel, das sahen wir später tatsächlich noch – mehrmals sogar, doch ich greife wieder vor. Vom Palast der Schiffsbauer erreichten wir auch eine riesige Höhle, in der mehrere Eissegler vertäut waren, wohl schon seit Ewigkeiten.

Wir erkundeten noch zahlreiche weitere Paläste und erblickten dabei unzählige beeindruckende und erschreckende Dinge, doch jede Saga muss auch ein Ende haben, nicht wahr Mandred?“ Der blonde Hetmann blickt den Skalden an und dieser nickt bekräftigend. Dann erwidert der Skalde: „Sicher, jede Saga muss ein Ende haben, doch sollte die Länge einer jeden Saga auch deren Bedeutung angemessen sein. Und deine Saga, Asleif, ist ohne Übertreibung die bedeutendste Saga die ich bisher niedergeschrieben habe, das Wohl!“ Mandred schlägt mit der Faust auf den Tisch, das Klappern der Trinkhörner folgt wie zur Antwort. Phileasson grinst erneut und entgegnet:

„Nun, Bescheidenheit mag einem Mann gut zu Gesicht stehen, doch er muss auch wissen, wann er große Taten vollbracht hat. Nicht umsonst heißt die Saga von nun an bis in alle Ewigkeit Phileasson-Saga und nicht eben Beorn-Saga, das Wohl!“ Gelächter und Grölen der anwesenden Zuhörer antwortet dem blonden Hetmann und es dauert eine Weile, bis sich die Männer in der Halla wieder beruhigt haben. Nur dem aufmerksamen Betrachter mag der eisige Blick Thorn Beornsons aufgefallen sein, der, etwas abseits sitzend, ebenfalls in der Halla verweilt. Wie wenn Phileasson den Blick spüren würde wird seine Miene wieder ernst und er fährt fort:

„Na, ich mag ihn zwar nicht allzu sehr, doch Beorn hat sich weit tapferer geschlagen als ich es ihm zugetraut hätte. So möge man sein Andenken wahren, denn sicherlich hat auch er seinen Teil zum Ausgang der Saga beigetragen, bei Swafnir. So will ich also fortfahren, um heute noch vom unterirdischen, dunklen Teil des prächtigen Turms erzählen zu können bevor ihr mir hier alle unter den Tisch sinkt! Nun, letztendlich also schien die meilenlange Wendeltreppe zu enden – in einer riesig erscheinenden Höhle, über und über mit dichtem Dschungel bewachsen. Nachdem wir endlich den Abstieg über die letzten Treppenstufen beendet hatten, standen wir inmitten der grünen Urwaldgiganten. Sicherlich durch Elfenmagie verursacht, sahen wir über uns nicht die Decke der Höhle, sondern einen echt erscheinenden Himmel mit Praiosscheibe, Wolken und dergleichen! Auf den zweiten Blick konnten wir auch Pfade durch das dichte Dschungelwerk entdecken und wir begannen, diesen verwilderten Garten zu erkunden. Als wir einen Pavillon inmitten des großen Gartens erreichten, näherte sich uns eine seltsame, steinerne Gestalt. Es war ein Greif, der sich bedrohlich auf seine beiden Hinterbeinen erhob und seinen steinernen Schnabel weit aufsperrte. Nun, unser Glück war es wohl, dass solch ein steinernes Ungetüm zwar imposant und auch gefährlich sein mag, doch schnell, bei Swafnir, schnell sind solche Viecher nicht!

So passierten wir den steinernen Wächter also schnellen Schrittes und gelangten in den Pavillon, ein marmorner Bau, in dessen Mitte wir eine weitere Treppe vorfanden, die uns weiter nach unten führte.“

Phileasson hält inne und nimmt einen weiteren, tiefen Zug aus seinem Trinkhorn. Knarrend öffnet und schließt sich die große Tür der Halla, als Thorn Beornson aus dem Langhaus verschwindet. Ein schmerzerfülltes Winseln des streunenden Hundes draußen zeugt von einem wütenden Tritt Thorns, während die übrigen Nordmänner im Inneren des Langhauses auf die Weiterführung der Phileasson-Saga warten.

 

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