Die Phileasson-Saga: Der Turm des Schlangenkönigs

Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko

aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson

 

Ottaskin der Hetleute, Thorwal

11. Firun 1009 nach Bosparans Fall

 

Warmes, flackerndes Licht dringt zwischen den mit Pergament verhängten Fenstern der Großen Halla nach draußen und verliert sich in der nächtlichen Dunkelheit über dem Kliff Thorwals. Der eisige Rondrikan hat sich in den letzten Stunden immer mehr beruhigt, doch noch immer zerrt der beißende Wind an den Fenstern und Türen der Ottaskin der Hetleute. In der Halla sitzen zahlreiche Nordmänner um den großen Eichenholztisch, während der blonde Hetmann Asleif Phileasson am Kopfende der Tafel aufsteht und seinen Metbecher in die Höhe hebt. Dann ruft er laut:

„Nun, was auch immer der Blender zu Lebzeiten getan hat, seine Tapferkeit und sein Mut werden ihn in die Hallen Swafnirs geführt haben – wenn er es nicht irgendwie doch geschafft hat, vor Pardona und ihren dunklen Elfenkreaturen zu entkommen! Zutrauen würde ich es dem Blender ja, das Wohl!“ Thorn Beornson und die übrigen anwesenden Nordmänner stehen auf, prosten dem Hetmann zu und schmettern ihm unzählige Das Wohl!“ Rufe entgegen. Als sich die Thorwaler nach und nach wieder auf ihre hölzernen Stühle niedergelassen, setzt sich auch Thorn Beornson mit einem versöhnlichen Gesichtsausdruck wieder auf seinen Stuhl. Phileasson leert seinen Tonkrug, dann winkt er Jorgen Olgulfson herbei und spricht:

„Jorgen, eine Runde Feuer für alle, damit die Recken während den letzten Versen meiner Saga für diesen Abend nicht wegkippen, das Wohl!“

Wenig später hat ein jeder der anwesenden Männer ein mit Premer Feuer gefülltes Trinkhorn vor sich stehen. Asleif Phileasson macht es sich in seinem hölzernen Stuhl gemütlich, legt die Beine auf die Tischplatte und spricht laut weiter:

„Nun saßen wir also alle in der Hetburg Beorns auf Thiranog zusammen. Zwar war durch die Anwesenheit Ynus auf der Seite des Blenders das gröbste Eis gebrochen, doch noch immer wurden verstohlene, hasserfüllte Blicke ausgetauscht. Falnokul konnte seinen Hass auf Ungrimm dabei am Wenigsten verbergen, doch Ungrimm schien dies nicht weiter zu stören – im Gegenteil, ich glaube der Angroscho fand das sogar lustig, das Wohl! Auch Berosch fühlte sich in Anwesenheit seiner alten Ottajasko sichtlich unwohl.

Daher schlug ich vor, zuerst ein Friedensabkommen unter Schirmherrschaft Shayas auszuhandeln. Als dies endlich getan war, befassten wir uns mit den Aufgaben unserer Wettfahrt. Zwar waren die Prophezeiungen, die uns und Beorn auf die Insel hinter den Nebeln geführt hatten, unterschiedlich gewesen, doch zum Schluss hatten wir doch wieder die gleiche Aufgabe bekommen – wir durch unsere gute Shaya, Beorn durch diese seltsame Achazpriesterin Zsintiss. Nun, den jungen und den alten Weisen hatten wir wohl gefunden: Beorn den Sternenträger Shadruel und wir den Pferdeforscher Gwern. Das Bündnis mit dem alten Widersacher war nun ebenfalls ausgehandelt und in dem Zauberschiff Taubralir vermuteten wir das, was laut der Prophezeiung gefunden und bewahrt werden sollte. Kurz gesagt, eigentlich hatten wir auch diese Aufgabe erfüllt, das Wohl! Das Wissen um Faelanthîr, Adernath und Fenvarien behielten wir indes erst einmal für uns, da wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau wussten, ob der königliche Gefährte auch in einer der Aufgaben Beorns vorgekommen war. Während wir also alle am Langtisch in der Halla der Hetburg saßen und nicht so recht wussten, wohin uns unser Wettstreit als Nächstes führen sollte, stand Shaya plötzlich auf und ging mit einem seltsam leeren Blick nach draußen. Wir alle folgten ihr natürlich sogleich und konnten so die nächste Aufgabe hören, die Shaya den wogenden Wellen des Lyrs entgegenrief:

 

Der Tod wird in eurer Mitte wüten, doch es ist gut so. Die zweite Geburt des königlichen Gefährten wird euch erkennen lassen, wo der hohe König einst gefangen gehalten wurde und noch immer verweilt. Nur so kann einst das Blutvergießen unter Brüdern aufgehalten werden. Der Weg zurück ins Leben führt zurück über den Rand des Kessels, den die Lebenden eine Nacht vor den kalten Krallen eines alten Feindes schützen müssen.

 

Nun also hatten wir die nächste Aufgabe vor uns! Wir wussten ja bereits, dass Faelanthîr die Wiedergeburt des königlichen Gefährten Adernath war und das er uns den Weg zum Gefängnis von Fenvarien weisen könnte, wenn er sich an sein früheres Leben als Hauptmann der Aman'Kai erinnern würde! Bei dem Kessel musste es sich sicherlich um den Kessel der Cammalan handeln, von dem uns der Nurti-Priester Ammantillada einst berichtete. Mit den kalten Krallen eines alten Feindes konnte zudem eigentlich nur dieser Schlangenkönig gemeint sein, welcher den Kessel vor vielen Jahrhunderten aus Gwandual geraubt hatte! Wir wussten also über Faelanthîr Bescheid und auch wo der Kessel der Cammalan zu suchen ist. Ammantillada erzählte uns damals aber auch, dass die Verlorene Insel – also jene Insel, auf welcher diese Hranngarbrut haust – einst eine der äußeren Inseln war, auf welcher sich immer wieder die Erinnerung an ein mächtiges und wehrhaftes Echsenreich abspielte. Der Schlangenkönig hatte es auf magische Weise geschafft, den immer wiederkehrenden Zyklus anzuhalten und hatte sich so eine ganze Heerschar an Achaz und Marus zu eigen gemacht. Seit dieser Zeit lebt der Schlangenkönig ungestört in seinem steinernen Turm am Nordende der Insel. Bei Swafnir, wir hatten also alles beisammen, um die Aufgabe zu lösen – außer genügend Männer und Schiffe, das Wohl! Nach kurzer Rücksprache mit meinen Männern weihte ich den Blender also schweren Herzens ein.“ Phileasson nimmt einen Schluck Premer Feuer aus seinem Trinkhorn, während auf der anderen Seite des Tisches ein Schmunzeln auf dem Gesicht von Thorn Beornson zu erkennen ist. Asleif spricht indes weiter:

„Nachdem ich das alles in der Halla der Hetburg offengelegt hatte, beschlossen Beorn und ich, die Verlorene Insel gemeinsam anzugreifen, um dort den Kessel der Cammalan zu erobern. Der erste Satz der Prophezeiung bedeutete laut meinen Männern, dass Faelanthîr den Tod finden muss, um dann im Kessel mit den Erinnerungen an sein früheres Leben wiedergeboren zu werden. Als sie dies ansprachen meldete sich Shadruel zu Wort und eröffnete uns, dass er das langwierige Ritual der Wiederbelebung durch den Kessel der Cammalan einst erlernt hatte und sich auch in der Lage sieht, es auszuführen. Gwern steuerte noch einige wichtige Details bei, die Shadruel nickend bestätigte. Deswegen mussten wir also den alten und den jungen Weisen auf den Inseln finden, das Wohl! Die Runjas weben ihre Schicksalsfäden manchmal wirklich kompliziert, bei Frenjara! Shadruel erklärte weiter, dass das Ritual sehr wahrscheinlich eine ganze Nacht andauern wird. Der Plan stand also fest: Es galt, die Verlorene Insel zu erobern und dort den Kessel eine Nacht lang zu verteidigen, während Shadruel und Gwern die Wiederbelebung Faelanthîrs durchführen!

Am nächsten Tag rief Beorn seine Leute zusammen und erteilte den Befehl, dass die gesamte Flotte sich vor Pwyll zu versammeln hat. Wulf stieß in das kleine Horn, das uns Faelanthîr überreicht hatte und wir alle hofften, dass der Meereself schon bald wieder zu uns stoßen würde, denn immerhin hing unser gesamter Plan von Faelanthîr ab, das Wohl! Meine Männer sowie Gwern und Shadruel segelten auf der Taubralir – dieses seltsame Schiff glich dabei einmal mehr seine eigene Größe an die Größe der Mannschaft an! – zusammen mit Beorns Männern mit, während die übrigen Ottas und die wenigen, von den Vislani eroberten Galeassen von den wilden Elfen gesteuert wurden.

Einige Tage später erreichten wir dann eine ruhige Meeresbucht vor der mittlerweile eroberten und geplünderten Hafenstadt Pwyll. Über drei Dutzend Drachenschiffe, dazu vier Galeassen der Vislani und die Taubralir selbst hatten wir nun zur Verfügung, eine wahrlich beeindruckende Flotte! Ich schätze, dass wir mit all den Elfen sicherlich an die tausend Krieger beisammen hatten, bei Swafnir! Die Elfen waren fast alle mit Schwert und Bogen bewaffnet und auch ihre Elfenmagie war mehr als hilfreich, wie wir schon bald feststellen sollten. Einige Tage später sahen wir dann tatsächlich das Baumschiff der Dryade Yrbilya am Horizont auftauchen. Faelanthîr hatte unseren Ruf also gehört, Swafnir sei es gedankt!

Wir verloren keine weitere Zeit und bereits am nächsten Tag ließen wir die Küstenlinie Thiranogs hinter uns und steuerten hinaus auf das offene Meer. Die Reise dauerte über zwei Wochen, verlief aber recht ereignislos. An Bord der selbststeuernden Taubralir wurde meinen Männern recht schnell langweilig und so vertrieben sich Ungrimm und Roban mit Schnapsbrennen die Zeit. Das Zeug hat einem wahrlich einen donnernden Dumpfschädel verpasst, das kann ich dir sagen, Mandred! Roban bandelte auch noch mit Eilif an oder vielleicht war es auch umgekehrt, aber auf jeden Fall landeten die beiden zusammen in einer Koje. Das gab sicherlich blaue Flecken, das Wohl! Stell dir mal die möglichen Kinder vor, Mandred: Die Statur von Eilif und den Mut von Roban, das wären wahrlich furchterregende Krieger, das Wohl!“ Phileasson nimmt lachend einen weiteren Schluck Premer Feuer, während Mandred ein schiefes Grinsen aufsetzt. Immer noch schmunzelnd spricht der Hetmann weiter:

„Wir erreichten die Küste der Verlorenen Insel am 87. Tag im Reich der Elfen, wie Wulf zählte. Beorn und seine Leute waren natürlich bereits einige Monde länger dort. Mythornius und einige der Elfen erkundeten die Insel sodann aus der Vogelperspektive. Nahe einer Bucht auf Höhe der Inselmitte konnten sie eine große Siedlung der Hranngarbrut ausmachen und von dort aus führte eine breite Straße an einigen Garnisonen vorbei bis zum Nordende der Insel. Dort ragte ein mehrstöckiger, steinerner Turm auf einem schroffen Felsenkliff in die Höhe, der vom Tal aus nur durch einen steilen und unwegsamen Serpentinenpfad zu erreichen war – der Turm des Schlangenkönigs! Laut der Beschreibung Ammantilladas sollte dies der Ort sein, wo der Kessel der Cammalan aufbewahrt wird.

Nach vielen Meinungen und Vorschlägen und einer wirklich langen Diskussion einigten wir uns darauf, die Insel aus drei Richtungen gleichzeitig anzugreifen. Ynu und Wulf Fluxfell sollten mit einem großen Trupp Elfenkrieger in der Nähe der Echsenstadt an Land gehen, so für Ablenkung sorgen und dabei hoffentlich auch einen Großteil der Hranngarbrut vom Turm des Schlangenkönigs weglocken. Währenddessen sollte ein weiterer Trupp unter dem Kommando von Ungrimm und Eilif auf dem Serpentinenpfad einen Frontalangriff führen. Shadruel versicherte uns, dass die Schießscharten des Turms dabei auf magische Weise versiegelt werden könnten, so dass wir hier nur mit wenigen Verlusten zu rechnen hatten. Die restlichen Kämpfer sollten unter meinem und dem Kommando des Blenders an der Nordspitze der Insel an Land gehen, um von dort aus ungesehen auf die hinter dem Turm aufragende Felswand zu gelangen. Mit Hilfe einer von den Elfen errichteten magischen Brücke sollte dann die Plattform des Turms mit einem Handstreich eingenommen und anschließend mit Hilfe des Lastenkrans Ungrimm, Eilif und die restlichen Kämpfer nach oben geholt werden. Das weitere Vorgehen war natürlich nicht planbar, da wir nicht wussten, was uns im Inneren des Turms erwartet und wo genau der Kessel der Cammalan versteckt gehalten wurde.“ Der Hetmann leert sein Trinkhorn und lässt sich dann von Jorgen Olgulfson nachschenken, ehe er weiterspricht:

„Gesagt, getan! Wir teilten die Schiffe und Kampfverbände ein und in den Abendstunden begann der Sturm auf die Insel des Schlangenkönigs!

Die Recken von Ynu und Wulf Fluxfell gingen an Land und wurden schon bald in heftige Kampfhandlungen verwickelt. Unser Plan ging auf, denn viele der Hranngarkinder zogen sich vom Turm des Schlangenkönigs zurück. Der Preis war allerdings hoch, viele der wilden Elfen und auch der Mittelländer Wulf Fluxfell fanden bei diesem Angriff den Tod!

Die Truppe von Ungrimm und Eilif geriet auf der Serpentinenstraße in einige Gefechte mit schwer gerüsteten Marus, doch da die Kämpfer aufgrund der magischen Barriere der Elfen vom Turm aus nicht beschossen werden konnten, wurden die Marus schließlich ohne größere Verluste niedergemacht. Ungrimm erzählte mir später, dass die Magierin Thalia alles andere als eine gute Figur machte. Nun, nicht alle Magier können so gut kämpfen wie unser guter Mythornius, das Wohl!

Unser Trupp erreichte derweil ungesehen das Felsplateau, welches einige Schritt höher als die Plattform des Turms lag. Shadruel und einige weitere Elfen errichteten die elementare Brücke und wir stürmten mit blank gezogenen Waffen auf die Zinnen bewehrte Plattform. Nach einem kurzen Gefecht hatten wir die Seilwinde des Lastenkrans erobert und holten Ungrimm, Eilif und einige der Elfen nach oben.

Die Marus hatten sich währenddessen allerdings in das Treppenhaus zurückgezogen und bildeten dort mit ihren Turmschilden einen Schildwall. Weitere dieser Echsenviecher standen mit Armbrüsten und Langäxten dahinter. Ein erbarmungsloser Kampf folgte, doch schließlich gelang es Ungrimm, Roban und Eilif, den Schildwall mit mächtigen Hieben zu brechen und die verbliebenen Verteidiger niederzumachen.

Vorsichtig stiegen wir nun die Treppe hinab in das Innere des Turms. Feuchtwarme, stickige Luft schlug uns entgegen und das schummrige Licht einiger Gwen Petryl-Steine erschwerte die Sicht. Im obersten Stockwerk mussten wir noch einige widerliche Hranngarkinder niedermachen, ehe es zwischen Schlingpflanzen und brackigen Wasserpfützen weiter nach unten ging. Dort fanden wir den Kessel der Cammalan! Der Kessel war größer als ein Pferd und dazu über und über mit fremdartigen Schriftzeichen bedeckt. Unheimliches, rötliches Licht beherrschte den Raum und an jeder der vier Ecken stand eine lebensgroße Leviatan-Statue aus Sandstein, deren Rubinaugen uns bösartig anzuschauen schienen. Wir sicherten das Stockwerk nach oben ab und ließen Shadruel und Gwern bereits mit der Vorbereitung des Rituals beginnen, während wir weiter nach unten stiegen, um die restlichen Bewohner des Turms zu beseitigen. Auch den Schlangenkönig selbst hatten wir bisher ja noch nicht zu Gesicht bekommen, bei Swafnir!

Bereits im nächsten Stockwerk gerieten wir an einige weitere Marus, die wir aber ohne große Mühe niedermachen konnten. Von dort aus gelangten wir in einen großen Raum, der von Schlingpflanzen überwuchert war und dessen Boden von warmem Wasser bedeckt wurde. Und dort war er, der Schlangenkönig! Der riesige Unterleib glich dem einer Schlange, doch der Torso war eindeutig menschlich, auch wenn er nicht zwei sondern gleich vier Arme besaß! Der Kopf hingegen sah aus wie der Kopf einer Natter! Bevor wir reagieren konnten deutete die widerwärtige Kreatur mit ihrem Zauberstab auf Ungrimm und verschwand dann in dichtem, grauen Nebel. Ungrimm indes schien beherrscht worden zu sein, den er schlug mit seiner Axt Tänzer nun plötzlich auf uns ein! Es kostete uns einige Zeit und Mühe, bis wir den Angroscho endlich niedergerungen hatten und ihn beruhigen konnten.

In den unteren Stockwerken fanden wir noch einige Achaz und widerlich pulsierende, kindskopfgroße Eier. Wir erschlugen die Achaz und zerschmetterten auch die widerwärtigen Eier, denn wer konnte schon sagen, welch grässliche Hranngarbrut dort ausgebrütet wurde? Von dem Schlangenkönig selbst fehlte allerdings jede Spur.

Der Turm war also gesichert und die Elfen hatten das Ritual vorbereitet. Es dauerte eine Weile, bis wir Faelanthîr von seinem Freitod überzeugen konnten. Schließlich übernahm Wulf die Sache und erwürgte den Elfen. Ich muss dazu sagen dass wir uns damals sicher waren, dass Faelanthîr auf jeden Fall gesund und munter wiedergeboren wird, bei Firun!

In den folgenden Stunden verteidigten wir den Kessel sowie das Ritual von Shadruel und Gwern gegen die zahlreichen Versuche des Schlangenkönigs, uns aus seinem Turm zu vertreiben. Es dauerte einige Zeit bis wir erkannten, dass uns das Hranngarviech durch die Rubinaugen der Leviatanim-Statuen beobachten und verzaubern konnte, doch als wir die Statuen zerschlagen hatten, wurde die Verteidigung einfacher, denn in den engen Gängen des Turms konnte ein einziger Kämpfer von uns leicht gegen eine Übermacht standhalten. Mit der aufkommenden Dämmerung erwachte der im Kessel der Cammalan liegende Faelanthîr endlich wieder zum Leben. Irgendwas schien allerdings nicht ganz geklappt zu haben, denn Faelanthîr hustete Blut, kippte über den Rand des Kessels auf den steinernen Boden und blieb dort mit blutigen Schaumblasen vor dem Mund liegen. Ich kann mich auch heute noch genau an die Worte erinnern, die er mit schwacher, ersterbender Stimme sagte:

 

Es war hoch im Norden, zwischen Darialya und der großen Bucht mit ihren vielen Seen. Dort ließ der Dhaza uns von den Fialgra einen Kerker errichten, nachdem er sich in seinem Palast an unseren Qualen für endlos lange Zeit ergötzt hatte. Nahe der Quelle des Alwa, den die Rundohren Upvalla nannten, wurden wir im Inneren eines Hügels gefangen gehalten. Dort waren wir lebendig begraben und ohne Hoffnung begannen wir nach und nach darüber nachzudenken, uns Zerzal anzuvertrauen, denn die einzige Freiheit, die uns blieb, war der Tod. Doch oft träumte ich, dass an dem Tag, an dem die Erde erzittert und ein Stern vom Himmel stürzt, der Hochkönig wieder frei sein wird.

 

Nach diesen Worten spuckte Faelanthîr oder vielmehr Adernath erneut einen Blutschwall aus, ehe er Mythornius noch einige Worte zuflüsterte:

 

Bevor sich Zerzal endgültig meiner annimmt, habe ich noch eine Bitte. Wenn ihr dereinst vor meinem König steht, sagt ihm, dass ich ihm verziehen habe!

 

Dies waren die letzten Worte Adernaths. Die Wiedergeburt im Kessel der Cammalan hatte also geklappt, allerdings nur für wenige Minuten. In Wulfs Gesicht spiegelte sich Bestürzen und Schuld wieder und auch ich hatte mir das so nicht vorgestellt. Wir hatten allerdings nicht viel Zeit, das Geschehene zu überdenken, denn immer mehr Achaz und Marus drängten den Serpentinenpfad nach oben. Wir zogen uns also über die Plattform des Turms und die Felswand zu unseren Schiffen zurück und auch Ynu und seine verbliebenen Kämpfer traten im Süden der Insel den Rückzug an. Nun, wir hatten erfahren, wo der Hochkönig einst gefangen gehalten wurde und wo er höchstwahrscheinlich noch immer sein Dasein fristete. Der Preis war allerdings hoch: Wulf Fluxfell war tot, ebenso Faelanthîr und über zweihundert der wilden Elfen. Mögen sie bei ihren Göttern weilen, wo auch immer dies genau sein mag. Auf die vielen Toten, bei Firun!“ Asleif Phileasson hebt sein Trinkhorn in die Runde und die anwesenden Thorwaler tun es ihm gleich. Lautstark und ausgiebig wird auf die vielen Toten getrunken, ehe in der Großen Halla langsam wieder Ruhe eingekehrt. Schließlich spricht der Kapitän der Glutströhm-Ottajasko weiter:

„Nahe der Quelle des Upvalla, das waren die Worte Adernaths. Nun, heute wird der Fluss Upval genannt und dieser liegt nicht allzu weit von der verfluchten Walfängerstadt Enqui entfernt, das Wohl! So beeindruckend und gewaltig die Inseln hinter den Nebeln auch waren, wir alle waren nun froh, endlich wieder ein Ziel in unserer Heimat Aventurien vor Augen zu haben, bei Swafnir! Beorn bestand allerdings darauf, die Schätze seiner zahlreichen Kapernfahrten mit nach Aventurien zu nehmen und so segelten wir von der Verlorenen Insel zuerst zurück nach Thiranog, um dort in den Ruinen der Hafenstadt Deriono des Blenders Schätze zu bergen. Gwern und die wilden Elfen verabschiedeten sich von uns und steuerten Djanilla und die Hetburg Beorns an, um von dort aus ihren Krieg gegen das Volk der Alten weiterzuführen. Die Völker auf den Inseln hinter den Nebeln waren wahrlich uneins, das Wohl! Shadruel und einige weitere Elfen bestanden jedoch darauf, uns nach Aventurien zu begleiten, um so mit Hilfe der Taubralir eine Verbindung zwischen den Inseln hinter den Nebeln und unserer Welt bestehen zu lassen.

Am nächsten Tag steuerte die mit den Schätzen dieser fremden Welt beladenen Taubralir also hinaus auf das offene Meer. Schon bald verdichtete sich der morgendliche Nebel über dem Lyr und bereits wenig später konnte ich nicht einmal mehr meine Hand vor Augen sehen, so dicht war der verzauberte Nebel!“ Phileasson streckt ausgiebig die Hände hinter dem Rücken aus, dann spricht er weiter:

„Schließlich hatten wir es geschafft, die Inseln hinter den Nebeln lagen hinter uns, bei Swafnir! Die Ankunft an den Gestaden Aventuriens erzähle ich aber erst morgen, Mandred. Nun wird es Zeit, dass ich meine müden Glieder in meiner Kammer ausstrecke und den vielen Met und das Premer Feuer ausschwitze, welches mir während den letzten Stunden die Zunge gelockert hat!“ Mit diesen Worten steht der eisblonde Hetmann auf und streckt sich nochmals ausgiebig. Auch die anderen Nordmänner verlassen langsam ihre Plätze und kurze Zeit später sieht man die Thorwaler mit flackernden Fackeln von der Ottaskin der Hetleute durch den tiefen Schnee hinab in die eigentliche Stadt Thorwal stapfen. Das klägliche Heulen eines einsamen Hundes begleitet die Nordleute dabei auf ihrem Weg nach unten.   

 

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