Die Phileasson-Saga: Das Tal der Donnerwanderer

Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko

aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson

 

Ottaskin der Hetleute, Thorwal

4. Firun 1009 nach Bosparans Fall

 

Etwa zwei Stunden vor Mitternacht ist aus dem eisigen Wind, der an den Fenstern und Türen des Langhauses zerrte, ein handfester Wintersturm geworden. Die schweren Fensterläden zittern unter dem Ansturm der Naturgewalten, das dichte Schneetreiben und die beißende Kälte haben nun auch den letzten Nordmann in die warmen Stuben der Langhäuser Thorwals getrieben. In der Großen Halla der Hetleute haben sich noch zahlreiche weitere Männer und Frauen zu Asleif Phileasson und Mandred Ormson gesellt und bei reichlich Met, einem knusprigen Ziegenbraten mit deftiger Soße und dazu gesalzenem Ifirnsbarsch lassen die Nordleute es sich gut gehen. Nachdem Phileasson den größten Hunger mit einem ordentlichen Stück Ziegenkeule beseitigt hat spült er die Reste mit einem großen Schluck Met hinunter. Während er sich die verbliebenen Fleischfasern mit einem Dolch mit tiefschwarzer Klinge aus den Zähnen kratzt lehnt er sich in seinem Holzstuhl zurück und legt die Füße auf den schweren Eichentisch. Dann blickt er in die Runde bevor er zu Mandred gewandt endlich mit dem Bericht seiner Saga fortfährt:

 „Ja, mit vollem Magen erzählt es sich doch gleich besser und auch den Sturm draußen mag man leicht vergessen. So, wo war ich doch gleich? Ach ja, die Abreise aus dem Dorf der Yetis. Am nächsten Morgen sind wir also aufgebrochen, Galandel und einige der Yetis haben die Führung übernommen. Auf unserem Weg fanden wir auch zwei weitere untauglich gemachte Eissegler des Blenders. Er war also noch immer vor uns, Hranngarschiss! Im Nordosten der großen Bucht gelangten wir an eine Stelle an der ein großer, dampfender Wasserfall von einer über fünf Mann hohen Steilklippe auf das ewige Eis herunterstürzte. Rund um den Wasserfall herum befand sich eine mehr als zwanzig Schritt durchmessende Bucht inmitten des ewigen Eises. Das Wasser, das hier herabstürzte, war offensichtlich warm, hier im eisigen Norden! Galandel führte uns am Rande des Wasserfalls den Berg hinauf und wir gelangten in eine langgezogene Höhle, in deren Mitte der warme Strom in Richtung der kleinen Bucht floss. Feuchtwarm war es dort und es roch nach Schlamm und Moder. Damals dachte ich noch das riecht ja wie im stinkenden Selem. Na, so Unrecht hatte ich da gar nicht, landeten wir doch alsbald in einem riesigen Tal, in dessen Mitte ein grüner, seltsam andersartiger Urwald wucherte! Von unserer Warte aus konnten wir das Ganze allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht überblicken, denn dichter, warmer Nebel zog durch das ganze Tal und behinderte die Sicht in die Ferne, da half auch das seltene Kleinod Wulfs, ein Fernrohr, nicht.

Hier auf der Anhöhe ließen wir Galandel und ihre Yetis vom Stamm der Hrm Hrm zurück und kletterten in das unbekannte Tal hinab. Immer wärmer wurde es, und zahlreiche Geysire und sogar grünen Nadelwald fanden wir dort unten vor. Weiter in Richtung des Zentrums wucherten riesige, baumartige Pilzgewächse und seltsame Vögel, auf den zweiten Blick als Echsengezücht erkennbar, zogen ihre Kreise am nebelverhangenen Himmel weit über dem Tal. Ich glaube der Magus hätte am liebsten alles aufgeschrieben was er da an unbekannten Dingen zu Gesicht bekommen hat. Unbekannte Schreie wie von fremden, gigantischen Tieren drangen aus dem Inneren des Tals, doch wir zogen tapfer und waghalsig weiter. Bald schon mussten wir uns durch dichtesten Urwald bewegen. Moor, Sümpfe und gar Morfus erblickten wir hier, inmitten des eisigen Nordlandes! Hornechsen sahen wir von weitem … und auch eine weitaus gefährlichere Begegnung, bei der viele gute Männer ihr Leben ließen. Im dichten Unterholz des Dschungeltals überraschten uns zwei blutrünstige, riesenhafte Schlinger! Das sind Raubechsen, von denen man sonst nur im Süden spricht, echsische, muskelbepackte Berge auf zwei Beinen, mit armlangen Reißzähnen und einem Kopf so groß, dass ein ganzes Fass Premer Feuer ohne Probleme darin verschwinden würde!“ Gespanntes Raunen ist in der Großen Halla zu hören, während der thorwalsche Kapitän weitererzählt: „Die Bestien richteten ein Blutbad unter meinen Recken an bevor wir auch nur in der Lage waren zu reagieren, und erst nachdem wir die ersten Opfer zu beklagen hatten, gelang es uns, uns zu formieren und den Bestien entschlossen entgegenzutreten. Das war ein Kampf sag ich dir, na, ein Gemetzel passt wohl besser, bei Swafnir! So viele Männer habe ich hier verloren, doch es gab keinen Weg zurück. Unter großen Verlusten gelang es meinen Männern und mir dann letztendlich, die beiden Schlinger zu besiegen. Die Axt Ungrimms hielt hier zum ersten Mal blutige Ernte unter unseren Feinden. Dies war nur der Erste von vielen verlustreichen Kämpfen, die ich und meine Männer auf unserer großen Reise noch ausfechten sollten.“ Phileasson hebt sein Trinkhorn in die Höhe und schaut ernst in die Runde der Anwesenden. Dann spricht er mit lauter, feierlicher Stimme: „Auf die tapferen Männer und Frauen, die an diesem Tage ihr Leben ließen! Mögen sie in den Hallen Swafnirs Einlass gefunden haben. Das Wohl!“ Klirrende Trinkhörner und donnernde „Das Wohl“ Rufe antworten dem blonden Kapitän. Es dauert eine Weile, ehe wieder Ruhe in der Halla eingekehrt ist. Während draußen der Sturm weiter an den Gebäuden der Ottaskin zerrt, fährt der Hetmann drinnen mit seinem Bericht fort:

„Gewarnt durch die schicksalshafte Begegnung mit der Hranngarsbrut schlugen wir unser Lager nun am Rande des Tals auf, inmitten einer Landschaft ähnlich der nivesischen Tundra. Wir schickten Kundschafter aus und bald schon konnten wir eine Herde der zweizähnigen Kopfschwänzler ausmachen. Wir wussten mittlerweile, dass man diese Tiere auch Mammuts nennt. Dem Andergaster Wulf, der sich später in Tobrien den Beinamen Berglöwentöter verdienen sollte, gelang es zudem das Lager des Blenders auszuspähen – nun, immerhin war auch er nicht weiter als wir, denn einen Mammut konnten wir in seinem Lager nicht ausmachen.

Unser Plan das Mammut zu fangen war seltsam, tollkühn und gefährlich; Eben ein Plan wie er nur von den Besten erdacht wird, ha! Meine Männer legten einen Waldbrand, um die Herde der Mammuts in Panik fliehen zu lassen. Der Magus Mythornius versteinerte – ja Mandred, du hast richtig gehört, ein ganzes Mammutjunges wurde versteinert! – dann das kleinste Mammut, wohl das Kalb der Herde, und wir hofften, dass die Herde das verzauberte Tier auch wirklich zurücklassen würde. Wer weiß schon ob ein versteinertes Tier noch riecht oder nicht. Nun, was soll ich sagen, letztendlich gelang es tatsächlich und wir fesselten das Junge und führten es in unser Lager. War nicht so einfach, das kann ich dir sagen, Junge.“ Phileasson winkt mit seinem leeren Becher einen Diener herbei, welcher ihm neuen Met in sein Trinkhorn schenkt. Der Kapitän nimmt einen langen Zug aus dem Trinkhorn und runzelt kurz die Stirn, ehe er fortfährt:

„Ach ja, eine seltsame Sache habe ich vergessen, Mandred. Auch in diesem Tal lebten Schneemenschen,  Clan der Wächter genannt. Sie hatten ihr Lager am Fuße des Gletschers, durch den wir den Weg ins Dschungeltal gefunden haben, aufgeschlagen. Wir – und wohl leider auch Beorn vor uns – konnten sie allerdings durch metallene Geschenke davon überzeugen, in ihrem Tal jagen zu dürfen.

So gelang es uns also – vor dem Blender, wie ich gerne erwähne! – ein lebendes Mammut zu fangen. Der Transport des schweren Tieres bis zur Brecheisbucht war alles andere als einfach und auch recht unrühmlich, nun, etwas das die Zuhörer einer Saga nur langweilen würde. Während also ein Großteil meiner Mannschaft mit der Seeadler und der wertvollen, lebenden Fracht zurück nach Thorwal segelte, wählte ich eine kleine Schar Streiter aus, um die zweite Aufgabe anzugehen. Unter den Männern waren der Norbarde Skarn, der al'Anfanische Gladiator Hakon, der Magus Mythornius, Roban und Wulf, die Männer aus den beiden streitenden Königreichen, die Zwerge Ungrimm und Eigor, dein Vater Orm Follkerson natürlich, unsere Geweihte Shaya und auch der tapfere Raluf. Auch den Waldmenschen Ynu sowie den Nivesen Crottet nahm ich mit, denn ich vermutete nicht zu Unrecht, dass uns unsere Reise noch in Gegenden führen könnte, in welchen uns Ynu und Crottet helfen könnten. Nun, möge Crottet bei Swafnir oder seinen Himmelswölfen Frieden finden, ich wünsche es ihm von ganzem Herzen. Auf Crottet, Das Wohl!“ Mit diesen Worten prostet der blonde Hetmann in die Runde seiner Zuhörer. An einem der Tische, fast vollständig in dicke Felle gehüllt, sitzt ein Mann mit seltsam anmutender bronzefarbener Haut, welcher erst vor wenigen Minuten in die Große Halla eingetreten ist. Seine glänzenden schwarzen Haare sind zu einem fremdartigen Bürstenschnitt geformt. Es ist Ynu, der Moha aus der Glutströhm-Ottajasko und Steuermann der ‚Seeadler‘. Ynu nickt Asleif lächelnd zu und erwidert den Gruß mit seinem Trinkhorn, während der Kapitän ansetzt weiter zu berichten:

„Zurück im Lager der Hrm Hrm ließen wir uns von Galandel nochmals alles berichten, was sie über das ewige Eis und den dort verborgenen Turm des Himmels wusste. Erneut wurden uns zahlreiche, sagen wir gewöhnungsbedürftige Spezialitäten angeboten: gebratene Echse, rohe Robbenleber, geeistes Robbenhirn, vergorene Yakmilch und rohe Schlange, um nur einiges zu nennen. Wir verbrachten dort einen trotz der Speisen ganz guten Abend, vom Erfolg der Jagd auf die Mammuts beflügelt und im sicheren Wissen, dass wir den Blender mit unserer tollkühnen Aktion überholt hatten. Schmorte er doch noch immer im Tal der Donnerwanderer, so waren wir schon am nächsten Morgen unterwegs ins ew'ge Eis.“ Mit diesen Worten lehnt sich der blonde Thorwaler zurück und atmet tief ein.

 

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