Die Phileasson-Saga: Der König der Meere und der König der Elfen

Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko

aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson

 

Ottaskin der Hetleute, Thorwal

12. Firun 1009 nach Bosparans Fall

 

Die eisige Nacht des aventurischen Nordens liegt bereits seit vielen Stunden über dem tief verschneiten Thorwal an der Mündung des Bodirs in den Golf von Prem. Nur noch vereinzelte Lichter erhellen in dieser dunklen Nacht die Stadt der Thorwaler. Neben den Fackeln der Wachleute auf den Stadtmauern sendet auch die Befeuerung des großen Hjaldingard-Turms auf dem Kliff über der Stadt sein einsames Signal hinaus in die Dunkelheit über den wogenden Wellen des Meeres. Auch aus den mit Pergament bespannten Fenstern der Großen Halla innerhalb der Ottaskin der Hetleute dringt noch flackerndes Licht nach draußen. Zahlreiche Nordleute sitzen in der Halla beisammen, denn dort gibt gerade der berühmte Kapitän Asleif Phileasson die Saga über seine beeindruckende Reise rund um Aventurien zum Besten. Der blonde Hetmann leert sein Trinkhorn mit einem Zug, legt die Beine auf die Tischplatte des schweren Eichenholztisches und setzt an, seine Erzählung fortzuführen:

„Irgendwann kam ich dann im hohen Gras der Grünen Ebene wieder zu mir. Ich weiß noch genau, dass der Himmel fast wolkenlos war und die Gräser durch eine sanfte Brise hin und her wogten. Mein erster Gedanke galt natürlich Fejris und mit dem Schwert in der Faust stand ich auf. Ich sah, wie sich auch meine Männer nach und nach aus dem Gras erhoben. Zerschunden zwar, doch am Leben! Mythornius allerdings sah recht unglücklich aus, hielt er doch die verkohlten Reste seines geborstenen Zauberstabs in den Händen. Von Pardona und ihren finsteren Schergen fehlte jedoch jede Spur, lediglich die Leichen einiger Gardisten lagen verstreut um den uralten Steinkreis herum. Dann sah ich zu meiner Erleichterung auch Niamh und Fenvarien! Beide waren bewusstlos, doch offensichtlich am Leben. Der Atem der beiden Elfen ging ruhig und friedlich, so wie wenn sie sich in einem tiefen Schlaf befinden würden. Ich ließ meine Männer nun zuerst die Umgebung erkunden und stellte dann Wachen auf, ehe wir uns um die beiden schlafenden Elfen kümmerten.

Nach einigen Stunden erwachten diese dann endlich aus ihrem tiefen Schlaf. Zwar schaute Fenvarien sich verwirrt um, doch war sein Blick dabei forschend und klar. Er wusste also nicht wo er war, doch geheilt schien er wohl zu sein! Dann erblickte er Niamh und die Harfnerin fiel ihrem Hochkönig mit Tränen in den Augen in die Arme – wir hatten es tatsächlich geschafft, der Hochkönig der Elfen hatte den Wahnsinn seines Geistes hinter sich gelassen, bei Travia! Wir knieten natürlich sogleich vor dem hohen König nieder und boten unsere Dienste an. Es dauerte allerdings lange, bis Niamh ihrem Freund all die Dinge erklärt und berichtet hatte, die letztendlich zu seiner Befreiung und seiner Heilung geführt hatten. Dann aber sprach der Hochkönig zu uns, ich kann mich auch heute noch genau an den Wortlaut erinnern:

 

Selbstlose Sumurrer! Wir sind euch zu tiefem Dank verpflichtet, denn nur euch ist es zu verdanken, dass Wir nach tausenden von Jahren des namenlosen Wahnsinns diese Bürde abstreifen konnten und nun zu unserem Volke zurückkehren werden! Unser Dank wird auf immer fortbestehen.

 

Wir waren natürlich von dieser ganzen Situation zutiefst ergriffen. Vor wenigen Stunden noch hatte der kranke Hochkönig irre und seltsam, ja fast wie ein dummes Kind gewirkt und nun stand er direkt vor uns und strahlte eine Macht und Autorität aus, die ich so zuvor noch nie erlebt hatte, bei Swafnir!“ Phileasson hält einen Augenblick inne und schaut in die Runde. Sein Blick schweift dabei allerdings an den anwesenden Thorwalern vorbei in die Ferne, fast so als ob sich der Hetmann noch einmal an den Anblick des Hochkönigs erinnert. Dann nimmt er einen Schluck Premer Feuer und spricht weiter:

„Nun, trotz all dieser Ereignisse galt es noch, einen Wettkampf zu gewinnen, das Wohl! Niamh verabschiedete sich von ihrem alten Freund, denn die magische Heilung hatte sie fast all ihre Kraft gekostet. Für die folgenden Jahre werde sie sich nun, so sagte sie, in den Silvanden Fae'denKaren zurückziehen, um dort wieder zu alter Kraft zu finden. Wenig später verwandelte sich die zaubermächtige Elfe in einen weißen Schwan und flog von dannen.

Wir übrigen brachen noch am gleichen Tag zusammen mit Hochkönig Fenvarien wieder in Richtung Thorwal auf. Die Rückreise führte uns einmal mehr den Oblomon hinab. Diesmal verlief die Reise allerdings ereignislos. Weder hatten wir Verfolger im Nacken, noch mussten wir einen Vorsprung des Blenders aufholen. In Oblarasim gingen wir wieder an Bord der Seeadler und von da an dauerte es nicht lange, bis wir mit dem Lauf des träge dahinfließenden Oblomons bei Tavaljuk den Golf von Riva erreichten. An der Küstenlinie ging es dann an Riva und am Gjalskafjord vorbei bis zur Freydirsbank und zur Swafnirsrast, ehe wir schließlich wieder in den Golf von Prem einliefen. Auch die Seereise verlief ohne größere Ereignisse und sowohl die Runjas wie auch der launische Rondrikan waren uns wohlgesonnen.

Am 28. Rahja liefen wir schließlich einmal mehr unter dem Jubel unserer Landsleute in den Hafen Thorwals ein. Weder Beorn noch Shadruel waren bisher allerdings eingetroffen und so warteten wir im heimatlichen Hafen das Ende des Wettkampfes ab.

Am 26. Praios endete die Frist unseres Wettkampfs, den wir vor vielen Monden einst auf Geheiß unser guten Garhelt begonnen hatten. Beorn war noch immer nicht aufgetaucht und zudem hatten meine Männer und ich sowieso mehr Aufgaben als der Blender gelöst. Daraufhin ernannte mich Tronde Torbenson zum Sieger des Wettstreits und verlieh mir den Ehrentitel ‚König der Meere‘, das Wohl!“ Phileasson hält einen Augenblick inne und grinst, als zahlreiche der anwesenden Nordleute aufstehen, ihre Trinkhörner erheben und ihm donnernde „König der Meere!“ Ehrbekundungen zurufen. Nachdem langsam wieder Ruhe in der Großen Halla eingekehrt ist, spricht Phileasson weiter:

„So ging an diesem Tage also eine der gewaltigsten und längsten Wettreisen zu Ende, die wir Nordmänner je ausgetragen haben, das Wohl! Von dem Fest brauche ich euch ja nichts zu erzählen, ihr ward ja schließlich selbst alle dabei! Meine Phileasson-Saga wird nun sicherlich noch in hundert Jahren von den Skalden in die Welt hinausgetragen werden, dafür wirst du ja sorgen, Mandred!“ Bei diesem Satz haut Phileasson dem jungen Skalden freundschaftlich auf die Schulter und redet dann weiter:

„Jeder meiner Reisegefährten erhielt für seine zahlreichen Verdienste den Ehrentitel ‚Von Swafnir gesegnet‘, zudem nahm ich sie als Ehrenmitglieder in meine Glutströhm-Ottajasko auf. Dukaten gab es natürlich auch noch, doch ich sage euch besser nicht wie viele, sonst werft ihr euch vor Neid noch in die eisigen Wasser des Bodirs, das Wohl!

Am nächsten Tag steuerte dann die Taubralir den Hafen unserer Stadt an. An Bord befanden sich neben Shadruel und einigen wilden Elfen auch Urdiriel und ihre Shiyannafeya, die nun nach Jahrtausenden der Wacht über das Schwert und den Kelch der Orima endlich wieder heimkehren konnten. Sie alle gingen mit Tränen in den Augen vor dem Hochkönig in die Knie. Fenvarien bedankte sich sichtlich ergriffen nochmals bei jedem einzelnen von uns und ernannte uns zudem zu Ehrenmitgliedern seiner Leibgarde, zu Mitgliedern der Aman'Kai! Er bot auch jedem von uns an, ihn auf die Inseln hinter den Nebeln zu begleiten. Shirandra, der seit den Erlebnissen auf den Inseln hinter den Nebeln noch schweigsamer als zuvor geworden war, nahm das Angebot des Hochkönigs mit zitternder Stimme an. Zu meiner großen Überraschung sagte auch Mhytornius nach kurzem Zögern zu. Trieb ihn die Neugier oder war es etwas anderes, was wir anderen nicht ahnten? Ich hoffe er wird eines Tages wieder an die Gestade Aventuriens zurückkommen, das Wohl!

Mit einem schmerzhaft schönen Choral der Elfen segelte die Taubralir dann bereits am nächsten Tag in den aufkommenden Nebel, um ihren lange verloren geglaubten Hochkönig zurück zu seinem Volk zu bringen. Wir indes standen auf der Hafenmauer Thorwals und blickten dem Zauberschiff nach. Es war geschafft. Der Wettstreit war entschieden, doch auch der Wille der Götter, so bin ich mir sicher, wurde durch uns ausgeführt, bei Swafnir!“ Phileasson seufzt und atmet tief aus, ehe er zu Mandred gewandt weiterspricht:

„Tja, das war sie nun, meine Saga. Die Phileasson-Saga. Nun ist sie vorbei und ich sitze wieder hier in der heimatlichen Halla. Ich hoffe, dass ich mich in den nächsten Wochen nicht zu Tode langweilen werde, das Wohl!“ Mit einem Grinsen im Gesicht nimmt sich Phileasson sein Trinkhorn und leert es mit einem letzten Zug.

 

Wenig später verlassen die Nordmänner die Große Halla und stapfen mit flackernden Fackeln in den Händen durch den tiefen Schnee hinab in die eigentliche Stadt. Im Prunkjolskrim der Hetleute brennt allerdings noch immer Licht, denn weder Asleif Phileasson noch die Mitglieder seiner Ottajasko haben sich bisher von ihren Stühlen erhoben. Auch der junge Skalde Mandred Ormson sitzt noch am Tisch und beschreibt mit seiner geschwungenen Handschrift eifrig eine Pergamentseite nach der anderen.

 

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