Die Phileasson-Saga: Der Weg von Beorn dem Blender

Reisebericht des ‚Königs der Meere‘, Hetmann Asleif Phileasson von der Glutströhm-Ottajasko

aufgezeichnet von Mandred, Sohn des Orm Follkerson

 

Ottaskin der Hetleute, Thorwal

11. Firun 1009 nach Bosparans Fall

 

Der Rondrikan weht eisig über dem tief eingeschneiten Kliff Thorwals. Vor der Ottaskin der Hetleute stehen einige in dicke Pelze gehüllte Nordmänner, die wettergegerbten Gesichter von der beißenden Kälte des Rondrikan gerötet. Der Moha Ynu betritt zitternd vor Kälte als Erster wieder die durch rußende Fackeln erwärmte Große Halla der Prunkjolskrim der Hetleute und nach und nach tun es ihm die übrigen Männer gleich. Drinnen lässt sich Phileasson wieder in den hölzernen Stuhl am Kopfende der Eichenholztafel sinken. Dann winkt er den Diener Jorgen Olgulfson herbei und ruft:

„Heda, Jorgen. Bring uns ordentlich Met, heiß und dampfend soll er sein, damit wir die grimmige Kälte des Rondrikans aus unseren Gliedern vertreiben können!“ Während Jorgen zwei große, dampfende Tonkrüge aus der Küche bringt wartet der Hetmann, bis sich auch der letzte seiner Zuhörer wieder am langen Tisch der Großen Halla niedergelassen hat. Dann nippt er an seinem heißen Met, ehe er ansetzt zu sprechen:

„Nun also weg von den Inseln hinter den Nebeln zurück in die glühende Sandwüste der Khôm. Die Hitze dort ist unvorstellbar, vor allem wenn man gerade noch den beißenden Atem des Rondrikans im Gesicht gespürt hat, bei Firun! Du erinnerst dich an Kei Urdhasa, die Oase der Shiannafeya, Mandred? Von dort aus gelangten wir in die Ruinen Tie'Shiannas und konnten im Rosentempel der Orima jene Flöte an uns bringen, die uns auf magischem Weg direkt zu den Inseln hinter den Nebeln brachte. Beorn und seine Leute ließen wir hinter uns, allerdings auch Ben Aram und seine Bettlerschar, die wir von Fasar bis nach Kei Urdhasa begleitet hatten.

Beorns Mannschaft bestand zu dieser Zeit aus dem rachsüchtigen Elfen Falnokul, der riesigen Thorwalerin Eilif Donnerfaust, der arroganten Magierin Thalia ya Arres sowie den beiden Mittelländern Wulf Fluxfell und Nokian. Lenya, die schon längst nicht mehr Lenya war, sondern die finstere Pardona in der Gestalt der armen Geweihten, war hingegen verschwunden. Ich schätze sie hatte Angst vor Urdiriel und ihren Shiannafeya. Beorn schwieg sich zu diesem Thema allerdings eisern aus. Ich bin mir sicher dass Beorn damals vor Wut kochte, immerhin hatten wir ihm die Flöte direkt vor der Nase weggeschnappt, das Wohl! Trotzdem lies er sich nicht unterkriegen, dass muss man dem Blender lassen. Da Berengar, jener verrückte Prophet, welchen er in Fasar als den Propheten, der wahr spricht, ausgemacht hatte, in Kei Urdhasa zurückblieb, beschloss er, sich dem Bettlerzug Ben Arams anzuschließen. Die Runjas waren ihm wohlgesonnen, denn schon bald erfuhr er die nächste Aufgabe aus dem Munde des alten Propheten Ben Aram:

 

Vollendet den Weg eines Träumers und es wird etwas geschaffen werden, das lange Bestand hat. Helft gegen die kalten Klauen eines alten Feindes und verbündet euch mit einem anderen Feind, und das verzauberte Holz, mit dem Ihr den Weg hinter die Inseln im Nebel findet werdet, wird in euren Händen sein.

 

Nun, mit dem Träumer war wohl Ben Aram gemeint, dies war sogar Beorn klar. Und da der Blender aus recht einfachem Holz geschnitzt ist, nahm er die Aufgabe Stück für Stück an und ignorierte einfach den Teil der Aufgabe, den er bisher noch nicht zu verstehen vermochte.

Bereits am nächsten Tag brachen Beorn und seine Recken zusammen mit Ben Aram und dem Zug der Bettler von Kei Urdhasa gen Rahja auf. Der Weg durch die flimmernde Tageshitze und die eisige Nachtkälte der Wüste Khôm war beschwerlich und voller Entbehrungen und mehr als einer aus dem Gefolge Ben Arams erlag den Strapazen der Reise. Ihr Weg führte sie über die Oase Terekh bis zur Oase Achan, die östlich der Goldfelsen irgendwo inmitten der Sandwüste der Khôm liegt. Dort waren die Runjas dem Blender und auch meinem Freund Ynu wohlgesonnen, denn Beorn traf dort auf einige novadische Sklavenhändler, die Ynu zum Verkauf feilboten. Ich muss es dem Blender hoch anrechnen, dass er Ynu ohne zu zögern aus den Klauen der Sklaventreiber befreite, bei Swafnir!“ Mit diesen Worten prostet der Hetmann erst dem sichtlich stolz dreinblickenden Thorn Beornson und dann dem grinsenden Ynu zu. Beide Männer heben ihre Tonkrüge in Richtung des Hetmanns und einige Tropfen warmen Mets landen dabei auch auf der hölzernen Tischplatte, ehe der Rest des dampfenden Honigweins in den Rachen der Männer verschwindet. Lautstark stellen die Männer ihre Tonkrüge wieder auf den Tisch und lassen sich von Jorgen Olgulfson nachschenken, während Phileasson weiterspricht:

„Nun, Thorn, ist soweit alles richtig? Wenn dir etwas nicht passt lass es mich wissen. Ich versuche wohl, meinen alten Groll gegen den Blender nicht zu zeigen, das Wohl!“

Der stämmige Thorn Beornson dreht den Tonbecher nachdenklich in seinen Händen, ehe er dem Hetmann antwortet:

„Das Wohl! Wenn man die Vorgeschichte zwischen dir und meinem Vater kennt, muss man anerkennen, dass du mittlerweile fast ohne Groll und Häme von meinem Vater zu berichten weißt. Das rechne ich dir hoch an, Foggwulf!“

Phileasson nickt dem Sohn Beorns zu, nimmt dann einen weiteren Schluck Honigwein und spricht zu Ynu gewandt weiter:

„Gut. Wie unser guter Ynu allerdings in die Hände der Sklaventreiber in Achan kam, das ist eine eigene Geschichte, das Wohl! Am Besten ist es wohl, wenn du diese Geschichte selbst zum Besten gibst, nicht wahr Ynu?“

Der angesprochene Steuermann der Glutströhm-Ottajasko nickt und stellt seinen Metbecher vor sich auf der Tischplatte ab. Dann blickt er in die Runde, so als ob er an diesem Abend zum ersten Mal aller anwesenden Nordleute gewahr wird. Dann beginnt er:

„Ich kann versuchen, das Wohl. Mandred, du müssen aber schreiben besser als ich sprechen eure Sprache. Gut. Damals nach Kampf gegen Seeschlangen in Perlenmeer ich zwischen Trümmern von Schiff gefallen in Wasser. Doch Kamaluq mir wohlgesonnen, denn ich konnte auf großer Planke von Schiff gierigen Ifirnshaien mich retten. Dunkel es wurde, dann hell es wurde und Durst ich hatte. Dann ich sah Schiff und Leute dort sahen mich. Ich wurde mit kleinem Boot zu Schiff gebracht und Wasser gegeben, doch Schiff war Sklavenschiff vom Bund der Schwarzen Schlange! Die nächsten Wochen ich Gefangener, ruderte Tag und Nacht. Wenn nicht gerudert, dann Peitsche.“ Bei diesen Worten kratzt sich Ynu gedankenverloren am Rücken, ehe er stockend weiterspricht:

„Schließlich Sklavenschiff in großer Stadt Selem an Mündung Fluss Szinto in Meer angekommen. Dort ich wurde gezeigt auf großem Sklavenmarkt und schließlich verkauft an verschleierte Wüstensöhne. Bald ging Reise am Ufer Szinto gen Norden. Wüstensöhne hatten Kamele, Sklaven mussten laufen. Wenn nicht laufen, dann Peitsche. Nach vielen Tagen wir schließlich erreichten Sandwüste Khôm. Weg dort war noch mühsamer als vorher Szintotal. Wüstensöhne sagten in Oase Achan wartet Markgraf von Neetha und zahlen viel Gold für gute Kämpfer. Reise ging viele Tage lang, viele Oasen wir sahen. Manesh, Birscha, Shebah, Terekh und endlich Achan. Dort ich sah Beorn und Ottajasko und ich wieder Hoffnung. Beorn bot viel Gold, doch Wüstensöhne sagten nein. Beorn bot noch viel mehr Gold, und Wüstensöhne sagten ja. So ich wurde verkauft an Beorn und ich frei!

Nächster Tag schon wir überfielen Lager von Sklaventreiber weg von Oase Achan. Wir alle getötet bis auf Anführer. Dieser von Beorn geblendet und in Khôm zurückgelassen. Grausam aber gerecht, Wüstensohn hatte Tod verdient, das Wohl! Ab diesem Tag ich reisen mit Beorn bis zu Inseln hinter Nebeln. Ich Beorn auf immer dankbar, das Wohl!“ Nach den letzten Worten hebt Ynu seinen Tonbecher und prostet erst Thorn Beornson und dann der gesamten Runde zu. Dann ruft er laut:

„Kamaluq möge wachen über Beorn, wo auch immer sein!“ Die anwesenden Thorwaler antworten mit einem donnerndenDas Wohl!“, ehe sie mit ihren Metbechern krachend auf den Blender anstoßen. Schließlich verstummen die Rufe und Ehrbekundungen der Nordmänner wieder und der Hetmann Asleif Phileasson ergreift erneut das Wort:

„Fürwahr, mein Freund war Beorn sicher nicht und oft wünschte ich ihm einen dröhnenden Dumpfschädel, doch er war auch ein echter Thorwaler mit Ehre im Leib, das Wohl! Die Sache mit Ynu werde ich ihm immer hoch anrechnen, komme was wolle.

Nun, von der Oase Achan ging der Weg von Beorn und seiner Schar dann gen Efferd, um dort durch die Kabashpforte zwischen den mächtigen Bergen der Goldfelsen und der Hohen Eternen schließlich in das Liebliche Feld zu gelangen. Zwar war das Klima dort wesentlich lebensfreundlicher als in der glühenden Hitze der Khôm, doch die Bettlerschar von Ben Aram war bei den Bewohnern der Dörfer und Städte des Lieblichen Felds alles andere als gern gesehen. Schon bald wurden Beorn und seine Leute von einigen Soldaten des Lieblichen Felds begleitet, die sie erst in der Grafenstadt Thegûn wieder verließen. Ben Aram indes wurde von weiteren Visionen heimgesucht und so war er sich mittlerweile sicher, dass das Ende seiner langen Reise und zugleich der Neubeginn für seine Begleiter irgendwo weit im Süden zu finden sei.

So war der weitere Weg also klar: Von Thegûn aus ging es die Seneb-Horas-Straße gen Praios. Beorn zog aus den bisherigen Begegnungen mit den liebfeldschen Soldaten aber seine Schlüsse und lies seine Leute größtenteils abseits der Straße reisen. Lediglich Falnokul, Nokian und den Bettlerjungen Mechmed lies er auf der Straße selbst vorausreiten, um Gefahren und Probleme frühzeitig erkennen zu können. Egal was man über den Blender auch denken mag, er fühlte sich für seine Leute und damit waren nun auch die Bettler aus Fasar gemeint – verantwortlich. Ein echter thorwalscher Drachenführer eben, das Wohl!

Je weiter der Zug der Bettler nach Süden kam, desto unwirtlicher und spärlicher besiedelt zeigte sich das Land. Wohl nicht umsonst nennen die Liebfelder diesen Landstrich daher auch den Wilden Süden. Vor der Stadt Neetha trafen die Kundschafter Beorns auf einen verwundeten Krieger, der im Auftrag des Erzherrschers von Arivor ein heiliges Artefakt aus Neetha bergen sollte: Das Schwert der Heiligen Thalionmel. Thalia wusste zu berichten, dass die Heilige Thalionmel einst die Stadt Neetha vor den Heerscharen der Novadis verteidigte und dabei selbst den Märtyrertod fand. Nun, dieser Krieger jedenfalls war offensichtlich überfallen worden und so nahmen sich Beorns Männer dessen Auftrag an. Ich schätze mal dabei winkte auch eine ordentliche Belohnung, doch dazu hat sich der Blender immer ausgeschwiegen, das Wohl! In der Stadt Neetha selbst wurden Beorn und seine Recken tief in das Ränkespiel des neethischen Markgrafen – wenn ich mich richtig erinnere lautete sein Vorname Phrenos, sein Nachname war wahrlich unaussprechlich! – verwickelt, konnten aber schließlich das Schwert der Heiligen Thalionmel bergen.

Mit aufgefrischten Vorräten und einigen zusätzlichen Reittieren lies man Neetha dann hinter sich. Mittlerweile war die Gegend so dünn besiedelt, dass der Bettlerzug schließlich ohne größere Probleme auf der Seneb-Horas-Straße reisen konnte.“ Asleif Phileasson nimmt einen großen Schluck lauwarmen Met, ehe er mit seiner Saga fortfährt:

„Einige Tage später erreichte Beorn dann die Rosenstadt Drôl, die an der Mündung des großen Harotrud in das Meer der Sieben Winde liegt. Beorn besprach sich immer wieder mit Ben Aram, doch dieser sah das Ziel der Reise noch viel weiter südlich als Drôl gelegen. So zogen Beorn und der Zug der Bettler also von Drôl aus weiter bis in das Städtchen Morbal, das am Westufer des großen Loch Harodrôl liegt, während im Osten der Drunab-See zu sehen ist. Von hier führte ein durch Holzbalken leidlich befestigter Weg durch das endlose Sumpfgebiet am Ufer des Loch Harodrôl bis nach Port Corrad an der Küste des Selemgrunds. Die drückende Schwüle der Sumpflandschaft sowie die unzähligen blutrünstigen Steckmücken forderten auch hier ihren Tribut unter den Bettlern Fasars, doch Ben Aram trieb seine Leute unnachgiebig weiter gen Süden. Irgendwo zwischen Winneb und Lorfas trafen Beorns Kundschafter dann auf einige Achaz. Dies war, so sollte der Blender schon bald erfahren, nur die erste von vielen Begegnungen mit der Hranngarbrut! Schon bald musste er lernen, sich mit den Achaz zu verbünden, doch bei dieser ersten Begegnung machte er das, was jeder anständige Thorwaler getan hätte: Er machte das Echsengezücht nieder, bei Swafnir!

In dem kleinen Dorf Heldenrain bestand Ben Aram schließlich darauf, den Knüppeldamm zu verlassen und sich einen Weg durch den dichten Dschungel am Fuße der Gipfel des Regengebirges zu bahnen. Ich kann mir vorstellen, dass Beorn von dieser Idee alles andere als begeistert war, doch eine Wahl hatte er wohl nicht, war er doch durch die Vision Ben Arams an dessen Launen gebunden.

Einige Tage später erreichte der Zug der Bettler dann ein großes, langgestrecktes Tal, welches im Norden durch die Berghänge des Regengebirges begrenzt wurde und durch welches sich ein kleiner, knöcheltiefer Bach schlängelte. Auf dem sanft ansteigenden Südhang lichtete sich der Dschungel und gab den Blick auf ein Hochplateau frei. Dies war, so lies Ben Aram verlauten, jener Ort, an dem die Bettler aus Fasar ihre neue Heimat aufbauen sollten. Brokscal nannte der Prophet die neue Heimat, was übersetzt soviel wie ‚zerbrochene Schale‘ bedeutet. Am Abend hatte der Zug der Bettler dann endlich die Hochebene erreicht und nachdem man die Zelte aufgeschlagen hatte, wurde schon bald über den Bau der Siedlung beraten. Zu dieser Zeit wusste noch niemand von all den Gefahren, die in den nahegelegenen Gipfeln des Regengebirges drohten, das Wohl!“

Phileasson hält inne und leert seinen Metbecher mit einem letzten, tiefen Zug. Dann stellt er den Tonbecher wieder achtlos auf den Eichenholztisch und streckt sich ausgiebig.

 

Anfang   zurück   top   weiter